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02.09.2010 8. Woche
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Abschied und Veränderung

Joanna und Noa fliegen zurück nach Deutschland. Ich orientiere mich allein und genieße die neuen Freiheiten.
Vor drei Tagen ist Johanna zusammen mit Noa nach Hause geflogen. Ich habe die beiden nach Delhi begleitet. Es war eine acht-stündige Taxifrahrt. Um die Staus auf den Hauptstraßen zu umgehen, fuhr unser Fahrer auf kleinsten Nebenstrecken.

Warum Johanna so plötzlich aus Indien flüchten wollte, ist ihr selbst nicht klar. Ihr Heimweh und die Sehnsucht nach Vertrautem waren größer als alles Andere. Weil sie selbst nicht genau wusste was sie dabei bewegt, konnten wir uns nicht gut darüber austauschen. Schließlich musste ich mich auf ihre täglich neunen Pläne einlassen.

Für mich war das total anstrengend. Zumal ich mir in genau dieser Woche eine heftige Erkältung eingefangen hatte. Ich habe mir immer gewünscht, dass wir alles unaufgeregt und in Ruhe besprechen und dann gemeinsam Entscheidungen treffen.

Johanna hingegen war mit der Fremdheit Indiens konfrontiert in einer Notlage. – Auf diese Art waren keine Absprachen möglich. Noch vor zwei Wochen wollte sie für ein Jahr bleiben und große Pläne schmieden. Einige Tage später dann wollte sie so schnell wie möglich nach Hause.

Ich mache Johanna keinen Vorwurf daraus. All das zeigt anschaulich was es einem Menschen abverlangt, in einer fremden Kultur zu leben. Gleichzeitig sehe ich wie gut ich selbst mich kenne. Ich kann ganz gut abschätzen was ich hier in Indien tue und wie es mir damit ergeht.

Seit einigen Tagen wohne ich bei einer befreundeten Familie in Delhi. Bei mir wird viel Energie frei, seid Johanna und Noa nicht mehr bei mir sind. Seit unserer Ankunft in Indien war ich immer mit einem Teil meiner Aufmerksamkeit bei den Beiden. Immerzu habe ich zuerst daran gedacht was meine Liebsten brauchen.

Jetzt bin ich zum ersten Mal mit meiner ganzen Aufmerksamkeit bei mir. Dabei habe ich immer mehr Kapazitäten zu kommunizieren und mich mit meiner Umgebung auseinander zu setzen.

Ich bin in Delhi unterwegs und genieße dabei meine neu gewonnenen Freiheiten. Manchmal gehe ich stundenlang durch die verwinkelten Gassen der alten Stadt. So lange bis ich jede Orientierung verloren habe. Dann spreche ich mit den Händlern oder ich nehme eine Riksha zu irgendeinem bekannten Punkt.

Gestern bin ich an den Ufern des Jammuna spazieren gegangen. Jammuna ist eine Flussgöttin wie Ganga. Heute habe ich viel Zeit in einem großen Stadtpark verbracht. Parks in Indien sind wunderschön gepflegte Anlagen, in deren Gestaltung oft manches an Religion und Tradition einfließt. Im Lodi Garden finden sich zahlreiche Ruinen einer gigantischen Grabanlage der Mogulen. In den Kuppelbauten der intakten Gebäude ist die Akustik berauschend. Ich habe mir die Ziet genommen, dort zu sitzen und auf der Flöte zu spielen.

Delhi überrascht mich. Die Stadt ist modern geworden. Die Fahrräder, die Wasserbusse und sogar die Kühe sind von den Strassen verschwunden. Dafür gibt es jetzt die neue U-Bahn, immer neuere schickere Autos und unzählige Motorräder.

Die Tiere die hier früher auf jeder Straße herumstanden, leben heute in den großen Ashrams der Jains. Oder sie wurden nach Bangladesh verkauft und dort verarbeitet. – So etwas erzählt man sich hier hinter vorgehaltener Hand. In den Tierashrams jedenfalls haben ausgediente Kühe, Kamele, Katzen, Esel und Hunde und sogar kranke Vögel ein gutes Leben. Leider gibt es in Indien keine vergleichbaren Zufluchtsstätten für Menschen, die keinen Platz mehr in der Gesellschaft haben oder unter der Last ihrer schweren Arbeit zusammenbrechen.

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Kommentare von Lesern:

 
jomonky, Ennepetal:
03.09.2010 06:30
Oh, das ging jetzt aber schnell mit der Abreise. Es tut mir leid für Euch, aber ehrlich gesagt könnte ich es mir auch nicht vorstellen, für ein Jahr nach Indien zu gehen. Du hast den Background dafür, bist Ethnologe u. beruflich u. privat wahrscheinlich besonders interessiert. Dass Johanna mit Noa mitgekommen ist, kann ich im Rahmen des Begriffes "Familie" verstehen. Mein Respekt dafür, dass sie ehrlich zu sich ist u. nach Hause gegangen ist. Ich würde es in Indien wahrscheinlich nicht mal eine Woche aushalten.
Dir wünsche ganz viele tolle Erfahrungen in Indien u. ich hoffe, dass der Schmerz, der da ist, schnell überwunden werden kann.
Wie hältst Du jetzt Kontakt zu Deiner Tochter? Was sind Deine Gefühle? Dazu schreibst Du leider nix...