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"Wir haben nicht zwei Leben nebeneinander!"


Beruf und Familie: „Wir haben nicht zwei Leben nebeneinander!“Bild: © Jürgen Fälchle - Fotolia

Schluss mit der Alles-ist-möglich-Lüge, fordert die Journalistin Susanne Garsoffky. Beruf und Familie müssen lebenszeitlich besser aufeinander abgestimmt werden können. Dazu sind massive Veränderungen in der Struktur der Arbeitswelt nötig, aber auch im Selbstverständnis von Müttern und Vätern. Mit Susanne Garsoffky sprach Ralf Ruhl.

Karriere mit über 40 muss möglich sein


Alle wollen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessern. Sie sagen: "alles Lüge!" Warum?

Vereinbarkeit ist ein Euphemismus. Familie wie Beruf fordern Konzentration, Einsatz und Zeit. Will man das mit Herzblut machen, braucht es jeweils 100 Prozent. Das geht nicht, schließlich hat niemand ein zweites Leben parallel zur Verfügung. Wir haben in Deutschland keine Strukturen, die diese Situation lebenszeitlich entzerren.

Als Lösung schlagen Sie eine Entzerrung der Lebensaufgaben vor. Eben nicht zwischen 25 und 40 Karriere und Familie gleichzeitig aufzubauen. Wer sind die Adressaten dieser Forderung?

Seit mehr als zehn Jahren ist die Lebenslaufperspektive der wichtigste Ansatz der Familien- und Sozialforschung. Sie findet sich auch in allen Deutschen Familienberichten, insbesondere im siebten, den Prof. Dr. Hans Bertram verantwortet. Adressaten sind in aller erster Linie die Unternehmen. Sie müssen weg von der Idee der linearen Karriere- und Berufsverläufe. Spätere Karrieren müssen möglich sein. Insbesondere Teilzeitarbeit muss substantiell aufgewertet werden, auch Führungsaufgaben müssen sich in Teilzeit erledigen lassen. Denn oft brauchen Kinder bis zum Ende der Pubertät Zuwendung.

Teilzeitarbeit muss aufgewertet werden


Und die Politik?

Die ist selbstverständlich auch ein Adressat. Wir haben in Deutschland seit der Einführung durch Bismarck immer noch den dreiteiligen Aufbau Ausbildung-Beruf-Rente. Wir leben aber heute nicht mehr wie vor 150 Jahren. Wir haben eine höhere Lebenserwartung, sind fit im Alter und wollen oft auch mit über 65 Jahren noch berufstätig sein. Außerdem wollen beide Elternteile arbeiten - und oft müssen sie es auch, um die Familie zu ernähren. Da kann gesetzlich viel geregelt werden - zum Beispiel die Einführung von Lebensarbeitskonten und das lebenslange Rückkehrrecht auf Vollzeit.

An welchen Stellschrauben müsste vor allem gedreht werden?

Teilzeitarbeit darf keine Sackgasse für die Karriere sein. Damit würde sie auch für Männer attraktiver. In qualifizierten Berufen führt sie jedoch immer noch zu einem Rückschritt in der Karriere. Männer scheuen davor zurück, so dass vor allem Frauen aus familiären Gründen auf berufliches Fortkommen verzichten. Auch inhaltlich muss da ein Umdenken stattfinden: Fürsorge für andere Menschen, seien es Kinder oder die pflegebedürftigen Eltern, bedeutet doch nicht ein Verbrennen von Qualifikationen! Im Gegenteil, man lernt dort den Umgang mit Menschen, Kommunikation, Organisation und Führung. Karriere muss auch noch mit über 40 oder 50 Jahren möglich sein.

Männer kämpfen gegen alte Rollenerwartungen


Moderne Männer sind in der gleichen Situation wie Frauen, wenn sie Beruf und Familie unter einen Hut bringen wollen...

Männer werden immer noch mit dem alten Rollenmodell, das sie hinter sich lassen wollen, konfrontiert. Vom Arbeitgeber, von den Kollegen, von Freunden und oft auch von der Partnerin. Es ist sehr schwer, dieser Erwartungshaltung - zuerst Ernährer der Familie zu sein und vor allem im Beruf seinen Mann zu stehen - nicht zu entsprechen. Nach der Geburt der Kinder findet häufig eine Retraditionalisierung im Rollenverhalten statt: Die Frau kümmert sich vor allem um Haus und Familie, der Mann ist außerhalb der Wohnung tätig, geht seinem Beruf nach. Durch diese Erwartungshaltung geraten Väter unter Druck.

Warum kämpfen Frauen und Männer nicht gemeinsam für eine bessere Zukunft für Familien?

Das verstehe ich auch nicht. Warum ist Familienpolitik in erster Linie Frauenpolitik? Warum ist gerade dieser Ministersessel fast immer von Frauen besetzt? Warum ist Gleichstellung nicht auch Männerpolitik? In Skandinavien ist seit Jahrzehnten Familienpolitik auch Wirtschaftspolitik, daher sind sie dort in Fragen der Gleichstellung und der Aufteilung der Familienarbeit auch weiter. Nachhaltige Familienpolitik wurde in Deutschland 2003 im Zuge der Agenda 2010 eingeführt. Europa sollte der größte zusammenhängende Wirtschaftsraum der Welt werden. Raus aus der sozialen Hängematte war der Leitspruch. Dazu sollte vor allem die Arbeitsmarktreserve Frau und Familie aktiviert werden. Die Berufstätigkeit von Frauen sollte gefördert und gleichzeitig die Geburtenrate gesteigert werden.

Wir brauchen eine Revolution!


Das hat aber nicht funktioniert...

Nein. Die Geburtenrate liegt bei 1,35 Kindern pro Frau, trotz Ausbau der Betreuungsmöglichkeiten. Zwar liegt die Erwerbsquote bei Müttern in Deutschland höher als in den meisten EU-Ländern, sie arbeiten aber weniger Stunden.
Der Grund: Die Strukturen der Arbeitsgesellschaft wurden nicht angetastet. Dabei ist es sehr wohl möglich in Unternehmen umzudenken! In Schweden geht auch der Vorstandsvorsitzende eines Konzerns spätestens um 17.30 Uhr nach Hause. In Deutschland erledigt die Frage, wer von beiden Elternteilen zwecks Kinderbetreuung Arbeitszeit reduziert oder gar aufgibt, meist der Blick auf den Gehaltszettel. Dass auch der bereinigte Gender-Pay-Gap bei acht Prozent liegt, ist ein Skandal! Der Arbeitsmarkt ist nicht fit für Familienmänner und -frauen! Seit über zehn Jahren stagnieren die Nettolöhne, es findet also eine massive Reallohnsenkung statt. Immer mehr gut ausgebildete Menschen arbeiten in befristeten Jobs oder in prekärer Selbstständigkeit. Eine Familie braucht aber Verlässlichkeit, auch des Einkommens und der Lebensumstände. Das Umdenken in den Unternehmen ist längst überfällig!

Also liegt die Lösung in der Weltrevolution?

Eine Revolution brauchen wir unbedingt. Wir Eltern müssen sagen: Wenn ihr Familie wollt, müsst ihr jetzt etwas tun! Sonst gibt es bald keine mehr. Die Zahl der kinderlosen Paare steigt, vor allem junge Männer wollen oft keine Kinder. Es wird niemandem Mut gemacht, eine Familie zu gründen. Wir haben eine Care-Krise. Wer sich um andere kümmert, wird bestraft. Wer sich um pflegebedürftige Eltern kümmert, bekommt seine Sozialversicherungsbeiträge nicht weiterbezahlt. Was zu niedrigerer Rente und Altersarmut führt. In Skandinavien ist das möglich, warum nicht bei uns?

Berufs- und Familienarbeit sind gleich viel wert

So ganz können Sie in Ihrem Buch auf Spitzen gegen Männer nicht verzichten. Sie schreiben, dass Väter, die in Elternzeit gehen, am liebsten schnell die Koffer packen und auf die Malediven fliegen.

Diese Überspitzung soll deutlich machen, dass eine Retraditionalisierung stattfindet, sobald Kinder da sind. Und zwar auch in den Köpfen. Männer nehmen in der Regel die acht Wochen geförderte Elternzeit. Mehr nicht. Wer das Leben mit Kindern aber als Urlaub betrachtet, der geht eben immer noch vom Primat der Erwerbstätigkeit aus, nicht von einer Gleichwertigkeit von Familien- und Berufsarbeit.

Was kann jede Familie für sich tun, um Karriere- und Familienzeit zu entzerren?

Individuelle Optimierungskonzepte funktionieren nicht mehr. Die meisten gut ausgebildeten jungen Männer und Frauen machen viel richtig. Sie haben intern geklärt, wer wie lange zu Hause bleibt, die Väter packen im Haushalt mit an. Ich kann ihnen nur raten: Schließt Euch zusammen! Fordert ein, was in den familienfreundlichen Flyern steht, die in der Personalabteilung liegen! Bildet Allianzen, auch mit älteren Kollegen und Kolleginnen, die zum Beispiel ihre Angehörigen pflegen! Werdet sichtbar mit Euren Kindern! Durch die Agenda 2010 ist die Familienarbeit generell abgewertet worden. Es zählt nur noch die Ökonomie. Das müssen wir überwinden.

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