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08.07.2010 1. Woche
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Vor unserer Reise nach Indien

Ich habe mich in Deutschland daran gewöhnt unser Familienleben durchzuplanen. Wer arbeitet wann? Wer nimmt Noa? In Indien wird es keine Pläne mehr geben. Da läuft unsere Zeit anders. Doch bis dahin gibt es noch viele Termine.
Am 22. Juli fliege ich mit meiner Frau Johanna und mit meiner Tochter Noa nach Indien. Wir haben vor für ein Jahr dort zu leben. Ich stelle mir vor an verschiedenen Plätzen für längere Zeit zu bleiben. Meine Frau ist Yogalehrerin. Ich habe vor zwei Wochen mein erstes Forschungsstipendium als Ethnologe zugesagt bekommen. Bei Johanna und mir stand nie zur Debatte in welches Land wir reisen wollten. Indien war immer schon unser gemeinsamer Wunschtraum.

Die Zeit vor dem Abflug ist intensives Leben. Das habe ich schon bei einigen längeren Reisen so erlebt. Doch in diesen Tagen passiert wirklich viel. Ein Freund der Familie, Noas Patenonkel, ist gestorben. Ich werde kommenden Mittwoch mein Universitätsstudium abschließen. Und Noa wird am Freitag dem zum siebten Mal mit einem komplizierten Beinbruch unter Vollnarkose operiert.

Nach einem zweiwöchigen Krankenhausaufenthalt konnte sie das Wort „Klinikum“ langsam und konzentriert aussprechen. Noa liebt die Bewegung. Vor dem Unfall übte sie springen, rennen und klettern. Seit ihr Bein eingegipst ist, lernt sie sprechen. Zweiwortsätze wie „Hunger habe“ werden von Dreiwortsätzen wie „steh mal auf“ abgelöst. Als mir klar wurde, dass meine Tochter für viele Wochen nicht mehr rennen und tanzen würde, konnte ich darüber weinen. Mittlerweile habe ich zu der Zuversicht gefunden, dass sie ihre Lernfelder sucht und findet, ganz egal mit welchen Einschränkungen sie dabei klar kommen muss.

Für mich war die Krankenhauszeit sehr anstrengend. Ein Kind, das sich nicht bewegen soll und Schmerzen hat, muss beschäftigt werden. In der Nacht kam weder Noa noch ich mehr als ein paar Stunden zum Schlafen. Am meisten aber haben mich die schrecklichen Geschichten der anderen Kinder auf unserer Station bedrückt. Da war ein ganz süßes kleines Mädchen, das durch einen Impfschaden schwere geistige und körperliche Behinderungen davongetragen hat. Ihr Vater trug eine tiefe Sorgenfalte auf der Stirn.

Meine Tochter wurde bis zum ersten Lebensjahr überhaupt nicht geimpft. Vor der Reise bekommt sie alle Impfungen, welche die Tropenmediziner für unbedingt notwendig halten (Polio, Diphtherie, Tetanus, Hepatitis A und B). Ein letzter Impftermin steht noch an.

Unsere Wohnung haben wir bereits aufgelöst. Nach der Zeit im Klinikum gibt es keinen festen Ort an den wir zurückkehren. Zum Glück ist Sommer. Unser Familienleben spielt seit dem 1. Juli unter freiem Himmel, im Zelt, im Auto und in den Häusern von Freunden und Verwandten.

Johanna und ich nutzen die Zeit vor der Reise, um noch einmal etwas ohne Partner und Kind zu unternehmen. In Indien werden wir, zumindest in der ersten Zeit, viel mehr zu Dritt sein als in Deutschland. Ich freue mich auf viel Zeit mit Frau und Kind und wenig Programm. Umso mehr genieße ich es in diesen Tagen noch einmal allein loszuziehen. Mir ist es wichtig meinen langjährigen Freunden noch einmal zu sehen. Es ist als bräuchte ich ihren Segen, um in mir ruhend mit einem guten Gefühl diese Reise anzutreten.

Zum ersten Mal habe ich heute ein schweres Gefühl im Bauch. Unser Flugdatum ist nicht länger ein abstraktes Datum. Ich habe in den Kalender geschaut und der Tag hat jetzt einen Namen: Übernächste Woche Donnerstag geht es los.

Ich habe mich in Deutschland daran gewöhnt unser Familienleben durchzuplanen. Wer arbeitet wann? Wer nimmt Noa? Alles muss gut abgesprochen sein damit es funktioniert. In Indien wird es erstmal keine Wochenpläne dieser Art mehr geben. Da läuft unsere Zeit anders. Doch bis dahin gibt es noch viele Termine.

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Kommentare von Lesern:

 
Volker, Kassel:
08.07.2010 21:10
Klasse, ich freue mich auf das interessante Tagebuch!