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29.07.2010 4. Woche
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Eine Woche Indien

Ich denke jetzt, wir sind sehr naiv nach Indien aufgebrochen. Mir war nicht wirklich klar, wie anders es ist, mit einem kleinen Kind in die Tropen zu Reisen. Jetzt ist alles offen. Ängste und Zweifel begleiten uns in diesen ersten Tagen.
Vor einer Woche um diese Zeit saßen Johanna, Noa und ich im Flugzeug, dass uns nach Delhi bringen sollte. Mir war klar, dass es eine anstrengende Reise werden würde.

Die überfüllten Straßen Delhis sind laut und stickig. Der Geruch von Schweiß und Müll steigt einem Europäer schnell zu Kopf. Moskitos erinnern an Tropenkrankheiten, die sich zu dieser Jahreszeit hier wohl fühlen.

Mich zieht es von Anfang an in die überfüllten Busse, zu den einfachen Teebuden und in die minimalistischen Restaurants. In armen Ländern habe ich mir immer gewünscht den einfachen Menschen nah zu sein. Die Zeitumstellung und das heiße Klima sind anstrengend. Ich würde trotzdem gern losziehen und alles entdecken.

Doch mit Familie ist das Reisen anders. Ganz anders! So anders dass ich nicht darauf vorbereitet bin was mich erwartet. Noa verkraftet die Reise bisher gut. Jeder Rhythmus der den Tag strukturiert, alle Essens- und Schlafenszeiten sind natürlich erst einmal dahin. In der Stadt kann Noa keinen Schritt allein tun. Überall sind Menschen, Autos, Rikschas, Baustellen, Verkaufsstände, Kothaufen und Müllberge. Ich kann mich in diesem Chaos frei bewegen. Meine Tochter muss ich jede Sekunde im Blick haben und immer auf dem Arm tragen.

Den Kinderwagen haben wir zwar mitgenommen, aber er lässt sich kaum einsetzen. In den Straßen ist schlichtweg kein Platz für dieses Gefährt. Noa wird es auf der Straße schnell zu viel. Sie beginnt zu jammern und verdreht die Augen. Die Tage in Delhi verbringen wir drei nackt ausgestreckt auf dem Hotelbett im trägen Luftzug eines quietschenden Ventilators. Abwechselnd stehen Johanna und ich auf. Um Noa mit kaltem Wasser zu übergießen. Die umliegenden Gassen erkunden wir mit kurzen Spaziergängen. Was Noa hier essen kann und mag müssen wir ganz neu lernen. Die meisten Speisen sind mit einer guten Portion Chili für Kinder ungenießbar.

Aber mit Noa geht es in den ersten Tagen trotz aller Schwierigkeiten ganz gut. Johanna hingegen bekommt Angst, als sie sich mit so viel Neuem und Fremdem konfrontiert sieht. Nach zwei Tagen wünscht sie sich allen Ernstes ins nächste Flugzeug zurück nach Deutschland. Nach verzweifelten Gesprächen und Gefühlsausbrüchen treffen wir eine Vereinbarung: Wir verabreden für eine Woche in Indien zu bleiben. Dann erst werden wir Entscheidungen treffen.

Ein paar Tage sind seitdem vergangen. Alles hat sich ein bischen entspannt. Wir sind in die Berge gefahren. Jetzt leben wir in der Nähe einer ruhigen Kleinstadt namens Missoorie. Und wir sind dabei uns für einige Wochen einzurichten. In den vergangenen Tagen war Johanna sehr mit sich selbst beschäftigt. Ich habe mich viel um Noa gekümmert. Dabei war ich zuversichtlich und optimistisch.

Jetzt dreht sich das Ganze um. Wir sind dabei einem Rhythmus und einen Platz für die ersten Wochen zu finden. Dabei werde ich ganz unsicher. Ich war nie sehr gut darin mich niederzulassen. Zu bleiben heißt schließlich auch Kompromisse einzugehen. Träume und Illusionen verändern sich dabei. Ich glaube nicht länger, dass sich diese Auslandszeit für einen bestimmten Zeitraum planen lässt. Wir müssen ausprobieren was möglich ist und immer wieder neu schauen: nach einer Woche, nach einem Monat, nach zwei Monaten... Vielleicht ist es auch gar nicht möglich, als Familie so in Indien zu leben, wie ich mir das erträumt habe.

Ich denke jetzt, wir sind sehr naiv nach Indien aufgebrochen. Mir war nicht wirklich klar, wie anders es ist, mit einem kleinen Kind in die Tropen zu Reisen. Für Noa ist plötzlich alles anders. In der neuen Umgebung braucht sie fast jeden Moment die Aufmerksamkeit ihrer Eltern. Nach dem aufregenden Flug und nach der langen Zugreise schläft sie schlecht.

Mir fehlt die Zeit selbst auszuruhen und auszuschlafen. Ich komme kaum dazu meine Eindrücke zu reflektieren. Ich habe wenig Muße mich in die Lebensart der Inder einzufühlen und ihrer Sprache dem Hindi zu lauschen. Ich bin anders auf der Reise als ich es mir für mich allein wünschen würde. Im Moment habe ich mit meinen Ängsten zu tun. Aussprechen kann ich sie noch nicht. Ich fühle sie schwer in meinem Bauch.
Ich vermisse den Austausch mit meinen Freunden zu Hause. Ich denke daran wen ich gerne treffen würde. Wen ich unterstützen könnte. Bei wem ich mich anlehnen wollte. Und ich wünsche mir eine Oma die Noa nimmt, damit ich mit Johanna lange im Bett bleiben kann.

Es regnet: Der Himmel ist voller Wolken. Als dichter Nebel ziehen sie die Berghänge hinauf. An jedem Stamm wächst Farn und Moos. Noa liebt es den Affen zuzuschauen, wenn sie über die Dächer und durch die Zweige toben.

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Kommentare von Lesern:

 
Tanja, Düsseldorf:
04.08.2010 13:59
Ehrlich gesagt ist das Verhalten schon recht naiv. Normalerweise sieht man sich ein Land vorher an, bevor man alle Zelte abbricht. Und das mit einem kleinen Kind - ist schon ziemlich unverantwortlich und auch sehr egoistisch...Bemitleiden kann ich Dich nicht - so etwas überlegt man vorher! Eure Kleine tut mir wirklich leid...Kann man nur hoffen, dass Du Deine Egozentrik zuliebe Deiner Familie über Bord wirfst...!