Viel Zeit für Papier, wenig für die Kinder
"Bitte nehmen Sie sich einmal Zeit und recherchieren Sie, was in "Ihren" Kindertagesstätten an schriftlichen Dokumentations-Arbeiten gefordert wird. Was kommt da zusammen? Beobachtungsbögen, Portfolios, Entwick¬lungsberichte, Bildungs- und Lerngeschichten, Sprachlern-Tagebücher, Protokollvorlagen, Dokumentationsmap¬pen, Kinderordner etc." Mariele Diekhof, in der Fortbildung für Erzieherinnen und Kita-Leitungen tätig, beklagt in ihrem Offenen Brief, dass "zu viel Zeit für Papier und zu wenig für die Menschen" verwendet wird. Sie rechnet vor: In einer Kita mit 100 Kindern kommen auch nur bei zwei Beobachtungen pro Kind 200 Texte pro Jahr zusammen. Den dafür nötigen Aufwand beziffert sie auf etwa vier Stunden pro Kind inklusive der Verfassung der Beobachtungstexte.
"Über 80% der Erzieherinnen fühlen sich durch den energiefressenden Schreibaufwand gestresst", meint Diekhof und zieht zum Beleg eigene Umfragen aus ihren Seminaren heran. Sie wünscht sich, dass während der Ausbildung mehr Wert auf professionelle Beobachtung (im Sinne von Achtung) und effektive, aber wenig zeitaufwendige Dokumentation gelegt wird.
Umsetzung der Bildungspläne
Der Grund für die häufige Beobachtung und Dokumentation kindlichen Verhaltens liegt in den Bildungsplänen der Länder - denn die enthalten Kapitel zum Qualitätsmanagement. Allerdings sind die Anforderungen an den "Schriftkram" dort sehr unterschiedlich gehalten. In Berlin wird in einer Broschüre des Paritätischen zur Umsetzung der Beobachtungs- und Dokumentationspflicht ein Punktesystem vorgeschlagen, jede Beobachtung eines Kindes gibt einen Pluspunkt für die Kita, wird das selbe Kind ein weiteres Mal beobachtet, gibt es noch einen Punkt usw. Mit dem Wunsch, durch Beobachtung des Lernverhaltens des Kindes Anregungen für den pädagogischen Alltag zu bekommen hat das nichts zu tun. Hier wird Druck auf die Einrichtungen aufgebaut, ein messbares System formaler Beobachtung und Dokumentation zu installieren.
Auch in Mainz gibt es detaillierte Beobachtungsbögen. Zwar kein Punktesystem, aber abhakbare Kästchen bei Sprech- und Spielverhalten, Sozialkompetenz, musischer und motorischer Entwicklung etc. Eine echte Beobachtung des Kindes wird so erschwert, hat doch die Erzieherin immer die Brille des Fragebogens auf der Nase. So wird ein formales Beobachtungsraster installiert; was das Kind braucht, wie es tatsächlich in der Situation spielt oder agiert, kann so nicht erfasst werden.
Mariele Diekhof plädiert hingegen für mehr Freude am Beruf: "Wir sind doch Erzieherinnen geworden, weil wir gerne mit Kindern arbeiten!" Mehr Freude und Lebenslust bei den Erzieherinnen würde sich direkt auf die Kinder auswirken: "Kinder lernen mehr, wenn sie abenteuerlustige Erzieherinnen haben!"
In der Dokumentationsfalle?
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In Kitas wird zu viel dokumentiert und es bleibt daher zu wenig Zeit für die Arbeit mit den Kindern, so ein offener Brief, der im Internet für viel Aufregung sorgt. Was ist dran an dem Vorwurf, und warum wird überhaupt das Verhalten der Kinder dokumentiert?
Diese Belastung sei nicht von heute auf morgen entstanden und auch nicht nur am Thema "Dokumentation" fest zu machen: "Das ist schleichend alles immer mehr geworden." Aufgrund längerer Öffnungszeiten sei Schichtbetrieb inzwischen in den meisten Kitas üblich. Die Übergabe an die nächste Schicht, Mitteilungen über Elterngespräche, Abzeichnen von Protokollen - all das fordere seinen Tribut. "Letztlich leidet die direkte Arbeit mit den Kindern, denn man ist ständig unter Strom und einfach nicht mehr so entspannt."
Beobachtung der Kinder und die Dokumentation der Beobachtung hält sie jedoch grundsätzlich für einen "wichtigen Pfeiler der pädagogischen Arbeit". Das betont auch Annette Drüner, Fortbildnerin und Supervisorin für Kita- und Krippenarbeit in Niedersachsen. Ursprünglich war die Idee der Dokumentation aus Neuseeland nach Europa gekommen. Der Grundgedanke war, das Lernen zu feiern. "Diese ursprüngliche Idee ist jedoch abhanden gekommen", so Drüner. Häufig werde nach "Schema F" vorgegangen und ein formalisierter Fragebogen abgehakt. "Kinder werden zu festgelegten Zeiten von einer hinter dem Klemmbrett versteckten Person zu festgelegten Themen beobachtet. Dialogische Prozesse, die den persönlichen Lerneifer, das Material, andere Kindern und die Erzieherin beinhalten können werden zu wenig beachten, der Foccus liegt beim Kind und dem was es schon kann ."
Wie das Kind lernt, welche Themen es von sich aus angeht und auf welche Weise, das sollte das Wesentliche einer Dokumentation sein. "Und da gibt es eine Menge zu feiern", meint Drüner. Wenn z.B. ein zweijähriges Kind den Weg einer Kartoffel vom Ernten bis in den Kochtopf ganz praktisch vollzieht, dann sei das auch für die Erzieherin ein Anlass zur Freude. Und später als Dokumentation mit Fotos ebenso für die Eltern.
"Dokumentation sollte möglichst wenig Zeit von der Arbeit mit Kindern nehmen", meint sie. Zum Beispiel könne man die Texte zu Fotos gemeinsam mit den Kindern formulieren. Denn die hätten Spaß daran, sich darzustellen und ihre Erfolge zu zeigen. So sieht es auch Verena Küttner, Leiterin des ev.-luth. Petrihauses in Göttingen. "Dokumentieren kann durchaus kreativ sein", sagt sie, "das kann ein Gedicht werden, ein Brief, ein Märchen, oder auch eine Reihe von Fotos mit begleitenden Sätzen."
Denn grundsätzlich geht es darum darzustellen, was die Kinder interessiert, wie sie sich ausdrücken und wie sie Herausforderungen standhalten und wie sie sich in die Gemeinschaft einfügen und um welches Lernen es geht. Das solle dokumentiert werden, damit die Eltern und die anderen Erzieherinnen die Fortschritte des Kindes ebenso erkennen und das weitere pädagogische Handeln besprechen können. Und natürlich das Kind selbst, wenn es sich die Mappen nach einiger Zeit wieder anschaut.
Beobachtung der Kinder und die Dokumentation der Beobachtung hält sie jedoch grundsätzlich für einen "wichtigen Pfeiler der pädagogischen Arbeit". Das betont auch Annette Drüner, Fortbildnerin und Supervisorin für Kita- und Krippenarbeit in Niedersachsen. Ursprünglich war die Idee der Dokumentation aus Neuseeland nach Europa gekommen. Der Grundgedanke war, das Lernen zu feiern. "Diese ursprüngliche Idee ist jedoch abhanden gekommen", so Drüner. Häufig werde nach "Schema F" vorgegangen und ein formalisierter Fragebogen abgehakt. "Kinder werden zu festgelegten Zeiten von einer hinter dem Klemmbrett versteckten Person zu festgelegten Themen beobachtet. Dialogische Prozesse, die den persönlichen Lerneifer, das Material, andere Kindern und die Erzieherin beinhalten können werden zu wenig beachten, der Foccus liegt beim Kind und dem was es schon kann ."
Lernen soll ein Fest sein!
Wie das Kind lernt, welche Themen es von sich aus angeht und auf welche Weise, das sollte das Wesentliche einer Dokumentation sein. "Und da gibt es eine Menge zu feiern", meint Drüner. Wenn z.B. ein zweijähriges Kind den Weg einer Kartoffel vom Ernten bis in den Kochtopf ganz praktisch vollzieht, dann sei das auch für die Erzieherin ein Anlass zur Freude. Und später als Dokumentation mit Fotos ebenso für die Eltern.
"Dokumentation sollte möglichst wenig Zeit von der Arbeit mit Kindern nehmen", meint sie. Zum Beispiel könne man die Texte zu Fotos gemeinsam mit den Kindern formulieren. Denn die hätten Spaß daran, sich darzustellen und ihre Erfolge zu zeigen. So sieht es auch Verena Küttner, Leiterin des ev.-luth. Petrihauses in Göttingen. "Dokumentieren kann durchaus kreativ sein", sagt sie, "das kann ein Gedicht werden, ein Brief, ein Märchen, oder auch eine Reihe von Fotos mit begleitenden Sätzen."
Denn grundsätzlich geht es darum darzustellen, was die Kinder interessiert, wie sie sich ausdrücken und wie sie Herausforderungen standhalten und wie sie sich in die Gemeinschaft einfügen und um welches Lernen es geht. Das solle dokumentiert werden, damit die Eltern und die anderen Erzieherinnen die Fortschritte des Kindes ebenso erkennen und das weitere pädagogische Handeln besprechen können. Und natürlich das Kind selbst, wenn es sich die Mappen nach einiger Zeit wieder anschaut.
Positiven Blick aufs Kind entwickeln
Sie nutzt die Dokumentation als pädagogisches Angebot "wie basteln oder Kekse backen". Dann haben die Kinder selbst Spaß daran, zu zeigen, wie sie die Burg gebaut haben. Ob sie dabei mit anderen Kindern gestritten oder zusammengearbeitet haben, wie sie die Steine zusammengesetzt haben, ob sie einen Plan hatten, sich abgesprochen haben, wie das Bauwerk gewachsen ist. "Die Kinder sind stolz auf das, was sie tun und wollen es auch zeigen. Und das kann man für eine Lerngeschichte nutzen."
"Selbstverständlich braucht man Zeit, bis man sich einen Umgang mit der Dokumentation angewöhnt hat", meint Küttner. Und der sollte auch in der gesamten Kita ähnlich sein. Daher sollten alle fortgebildet sein und die Ansprüche an eine Dokumentation müssten klar sein. Auch müsse die Leitung die notwendigen Mittel bereitstellen, wie z.B. einen Fotoapparat für jede Gruppe. "Wenn man den jedes Mal erst suchen muss, kostet das unnötigerweise Zeit." Aber Druck sollte aus der Dokumentation nicht erwachsen, "denn dann vergeht der Spaß. Und den braucht man für den positiven Blick aufs Kind."
Ralf Ruhl
Positiven Blick aufs Kind entwickeln
Belastung steigt schleichend
Diekhofs Beobachtungen werden von Christine Rönnau, Erzieherin in einer Kita in Rosdorf, bestätigt: "Die Belastung nimmt deutlich zu." Was im Rahmen der Qualitätsentwicklung zu leisten sei an Mappen, Portfolios, Bildungs- und Lerngeschichten, Genehmigungen der Eltern für die Verwendung von Fotos einholen etc, all das sei im Rahmen der Arbeitszeit kaum zu erledigen.