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Vaterschaft neu erfinden


Vaterschaft neu erfindenBild: no more lookism-photocase.de

Wir brauchen ein neues Väterbild. Eins, das auf Emanzipation beruht, nicht auf Normen. Doch wie es aussieht, muss jeder Mann selbst entdecken. Warum Väter sich ärgern sollten, wie die väterliche Prioritätenliste aussieht und wie das mit dem Sex dennoch klappen kann, darüber sprach der Bielefelder Psychologe Björn Süfke mit Ralf Ruhl.

Männer, emanzipert euch!


Herr Süfke, ihr Buch ist ein Aufruf an Männer, sich neu zu erfinden. Müssen sich auch Väter neu erfinden?

Es ist ein Aufruf zur Emanzipation - und das ist eine Befreiung von Vorgaben, die das Hinwenden zu sich selbst erst möglich macht. Deshalb mag ich das Wort "müssen" nicht, ebenso wenig den Begriff "Neue Männer". Denn es kann ja nicht darum gehen, die Vorgaben traditioneller Männlichkeit durch neue zu ersetzen. Es ist also ein Appell, die eigene Väterlichkeit neu zu definieren: als das, was zu mir passt.

Inzwischen nimmt ein Drittel der Väter Elternzeit, überall sieht man Väter mit Kinderwagen. Beeinflusst uns das klassische Väterbild immer noch so stark?

Zum klassischen Väterbild gehört unter anderem die Vorstellung, dass Frauen besser für die Kindererziehung geeignet sind; manche sagen sogar "natürlich". Da geht der Mann ins Kinderzimmer, um das Baby zu wickeln. Genau in diesem Augenblick hat die Frau dort auch unbedingt etwas zu tun, kommentiert sein Handeln - und er bestätigt das auch noch, indem er ihren Anweisungen folgt oder ihr das Kind übergibt. Dieses Stereotyp wird durch neue Umfrageergebnisse einer Allensbach-Studie gestützt: Demnach glauben über 40 Prozent der Mütter und Väter, dass Frauen ihren Kindern besser vorlesen können. Wohlgemerkt: dass sie es besser können, nicht, dass sie es häufiger tun. Sind denn die Männer alle Analphabeten? Ebensoviele meinen, Mütter können besser mit ihrem Kind zum Arzt gehen. Finden die Männer den Weg nicht? Vergessen die immer die Krankenkassenkarte? Und diese Stereotype stecken unbewusst in unseren Köpfen, bei den Männern sogar noch etwas mehr als bei den Frauen. Da wird deutlich, dass eine solche Veränderung nicht mit einfachen Willensentscheidungen herbeizuführen ist.

Emanzipation ist, so sagen Sie, nicht gegen das andere Geschlecht gerichtet, sondern ist etwas, das ich für mich selbst tue. Was bedeutet das für Väter?

Emanzipation ist ein Kampf für uns selbst, nicht gegen die Frauen oder die Mütter. Am besten ist es natürlich, wenn sich jeder Mann vor der Geburt darüber Gedanken macht, wie er Vater sein will. Wie lange möchte ich arbeiten pro Woche, pro Tag, wie lange möchte ich in Elternzeit gehen, was kann ich gut mit dem Kind machen, was möchte ich gerne mit ihm machen - aber auch: wovor habe ich Angst? Dies sollte dann am besten bei einem Tässchen Stilltee mit der Mutter besprochen werden.

Männer, ärgert euch!


Väter fühlen sich oft als fünftes Rad am Wagen...

Die Diskriminierung der Väter ist nicht so offensichtlich, sie findet sich nur in wenigen Paragrafen im Familienrecht und nur in wenigen Durchführungsverordnungen. Aber es gibt eben diese grundsätzliche stillschweigende Übereinkunft, dass Männer bei der Kindererziehung minderbegabt sind. Das zu ändern gelingt nur, wenn Männer sich ärgern. Sich ärgern und das auch ausdrücken! Da wird der Vater nicht von einer anderen Mutter über die Geburtstagsfeier eines Freundes des Kindes informiert, obwohl er sein Kind in der Kita abholt, sondern am Nachmittag wird die Mutter angerufen. Oder die Adressen der getrennt lebenden Väter sind in der Kita nicht bekannt, sie werden nicht zu Elternabenden eingeladen. Da müssen Männer sich ärgern und sich wehren! Ich habe es so oft gesehen, dass Frauen ihren Männern das Kind aus dem Arm reißen, wenn es weint oder gewickelt werden muss. Und die Väter lassen sich das gefallen! Wenn ihnen eine Kollegin am Arbeitsplatz ein Blatt Papier mit ihren Arbeitsergebnissen aus der Hand reißen würde, würden sie Zeter und Mordio schreien. Da wird deutlich: Bei allem politischen Erwünscht-Sein - Männer, die sich um ihre Kinder kümmern, müssen sich auf Anfeindungen einstellen.
Taugt bei alledem der eigene Vater noch als Vorbild?

Die Auseinandersetzung mit dem eigenen Vater ist eminent wichtig. Wohlgemerkt Auseinandersetzung, nicht Rebellion. Die 68er haben gegen ihre Väter rebelliert, wollten ganz anders sein als sie. Sie haben gesellschaftlich viel vorangebracht, sie haben die Auseinandersetzung mit der Nazi-Zeit überhaupt erst möglich gemacht. Aber aktive Väter waren sie häufig auch nicht. Da hat die Frauenbewegung den Anstoß gegeben.

Wie kann eine solche Auseinandersetzung mit dem eigenen Vater aussehen?

Wer sich mit seinem Vater beschäftigt, stellt sich tiefe und elementare Fragen des Lebens. Wer ist oder war mein Vater, wie sieht er aus, was ist ihm wichtig, was bedeute ich für ihn? Ganz wichtig ist dabei: was wollte er von mir? Und das führt zwangsläufig zur Auseinandersetzung mit den eigenen Werten und Lebensthemen: Was habe ich von ihm mitbekommen, was gebe ich davon weiter? Was habe ich mir ureigenst selbst erarbeitet, was will ich weitergeben?

Väter, setzt Prioritäten!


Vor allem junge Väter fühlen sich von den Ansprüchen, die an sie herangetragen werden, überfordert.

Ja, sie sollen alles gleichzeitig sein: Sie sollen Vollzeit arbeiten, gutes Geld nach Hause bringen, ein toller Partner und ein liebevoller Vater sein, der sich 50:50 um Haushalt und Kinder kümmert, sie sollen sich nebenbei noch selbst verwirklichen, etwas besonderes leisten, das sie attraktiv macht, vielleicht sich noch politisch auf der richtigen Seite engagieren - puuh, da geht einem die Luft aus, das kann niemand leisten. Aber dieser überfordernde Anspruch, der ist momentan gesellschaftlich da und der ist auch nicht einfach zu ändern. Er ist ein Zeichen des gesellschaftlichen Umbruchs. Frauen sind sich seit der Emanzipation dessen bewusst, sie leben das im Rahmen der Möglichkeiten und fordern für sich auch die Selbstverwirklichung ein. Für Väter bedeuten diese neuen Männlichkeitsanforderungen einen enormen zeitlichen Aufwand, mehr als eine reine Vollzeitstelle mit klassischer Rollenaufteilung.

Was kann der einzelne Vater da tun?

Es muss klar sein, wer 50:50 will, braucht mehr Absprachen, und die brauchen Zeit. Mit Hilfe der Technik geht das etwas schneller, in der Familien-Whats-App-Gruppe kann man klären, wer kauft ein, wer kümmert sich um die Winterreifen, wo ist die Tüte mit der Buchstabensuppe, die sich die Kinder selbst warm machen können? Für Väter ist es wichtig, eigene Prioritäten zu setzen. Die müssen nicht in Stein gemeißelt für alle Ewigkeit gelten. Aber für die ersten Lebensjahre des Kindes schon. Die meisten Männer entscheiden sich für Kinder - Arbeit - Hobbys, wobei der Sport auch zu letzteren zählt. Ich habe mich schon vor der Geburt meiner Kinder aus dem Sportverein verabschiedet, weil ich wusste, dass ich darauf am ehesten würde verzichten können und weil es viel Zeit gekostet hat. Für viele Männer ist das ein Problem, weil ihre Freundschaften entweder mit der Arbeit oder den Hobbys, vor allem dem Sport, direkt verbunden sind. Denen fehlt dann tatsächlich ein Freund, jemand, mit dem sie reden können. Aber für eine gewisse Zeit muss man mit kleinen Kindern bewusst einen Teil der eigenen Interessen hintanstellen - und darf das vor allem hinterher den Kindern nicht vorwerfen. Im Alltag heißt das, immer wieder den Kalender mit den wichtigen Terminen füttern und absprechen, wer wann für die Kinder da ist. Also das Champions-League-Finale rechtzeitig eintragen und der Partnerin auch klar machen, dass das ein wichtiger Termin ist. Genauso wichtig wie der Geburtstag ihrer besten Freundin.

Väter - habt Sex! Oder auch nicht...


Auf der Prioritätenliste an erster Stelle steht bei den meisten Paaren ja der Sex.

Ach ja, der Sex. Das Geheimnis junger Paare mit Kind, den Sex frisch zu erhalten ist: Nein, nicht die Kinder zur Nanny bringen, sich zum Candle-Light-Dinner verabreden und gemeinsame Zeit regelmäßig einplanen. Obwohl das auch nützlich ist. Nein, das Geheimnis ist: zu wissen, dass es nicht mehr so funktioniert wie vorher. Beide wissen das, beide akzeptieren das. Beide verstehen, dass Sex nicht mehr so oft, so lange, so ungestört ist. Das ist nicht der Todesstoß für die Partnerschaft, nur ist Sex nicht mehr die erste Priorität. Wichtig ist zu wissen, dass die Einschnitte nicht von außen kommen, nicht vom Kind verursacht werden, sondern dass man sich selbst bewusst dafür entschieden hat.

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