väterzeit.de - Vater sein, Mann bleiben

15.08.2011 26. Woche
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Randale und Sleep-Over

Hurra, Finn hat seinen ersten Sleep-Over und alles geht gut; voll gepackter Rucksack; Angst vor Bettnässen; massive Unruhen in Hackney.
Ach, die geliebten Ferien, sie wollen einfach nicht zu Ende gehen. Für die Kids ist das natürlich toll, aber meine Frau und ich pfeifen allmählich auf dem letzten Loch. Finn schläft seit einigen Stunden seelig in seinem Bettchen, denn es ist ja auch schon nach Mitternacht, umd ich komme erst jetzt zum Schreiben. Der Grund: Sue ist mit Josh ins walisische Aberystwyth gefahren, um ihre Freundin Miranda zu besuchen und ich bin seit Freitag mit Finn alleine.

Davor war ich mit den Krawallen in London beschäftigt. Nicht direkt als Krawallmacher, aber als Journalist. Ich schrieb einen Artikel für die taz in dem es um ein Londoner Lagerhaus von Sony ging, wo mehr als 100.000 DVDs, CDs und Schallplatten von vielen Musiklabels und Filmverleihen verbrannten, was für viele dieser kleinen, unabhängigen Firmen das Aus bedeuten könnte. Außerdem bastele ich gerade an einer längeren Geschichte für die Jüdische Allgemeine in Berlin über die Auswirkungen der Unruhen auf jüdische Gemeinden und Geschäfte in London.

Finn und ich suchten also öfter mein Stammcafé Amandine in Victoria Park auf (wo sie besonders kinderfreundlich sind) und ich tippte eifrig, während der Kleine sich mit meinem iPhone beschäftigte. Das Alleinsein mit Finn tut wirklich gut, denn es ist leichter auf ihn einzugehen. Außerdem hatte Finn gestern ein tolles Erfolgserlebnis über das ich mich immer noch freue.

Wir waren am Freitag bei meinem Freund Breanainn und seinem Sohn Patrick eingeladen. Finn versucht schon lange, sich mit Patrick anzufreunden, aber es fällt ihm nicht leicht. Mein Sohn hätte schon seit Monaten nichts lieber gewollt, als bei Patrick und Breanainn zu übernachten. Leider war es bislang so, dass Patrick ein bisschen Schwierigkeiten mit Finn hatte. Das lag sicher an Finns autistischen Verhaltensweisen, an die Patrick sich einfach nicht gewöhnen konnte. Am Freitag klappte es aber so gut mit den beiden, dass Patrick vorschlug, Finn solle am Samstag zum Übernachten kommen. Finn willigte überglücklich ein. Breanainn hatte auch nichts dagegen und so stand dem „Sleep-Over“ nichts im Wege. Finn war so aufgeregt, dass er den kompletten Samstagmorgen damit verbrachte seinen Rucksack ein- und wieder auszupacken, bis er endlich die richtigen Klamotten für die Übernachtung gefunden hatte.

Tatsächlich ist es so, dass Finn sich besser mit anderen Jungs versteht, wenn sein Bruder nicht dabei ist. Das ist in gewisser Hinsicht nachvollziehbar, denn Josh ist außerordentlich beliebt und stiehlt Finn sozusagen die Schau. Wenn Finn dann noch mit seinem autistischen Verhalten kämpft, wollen andere Kids lieber mit Josh spielen, denn das ist einfacher für sie. Diesmal war Josh aber nicht mit von der Partie, und Finn gab sich außerordentliche Mühe, Patrick zu beeindrucken und es gelang ihm auch.

Am Samstagnachmittag standen Patrick und Breanainn vor der Tür und Finn machte sich angetan mit seinem prall gefüllten Rucksack auf den Weg. Ich war sehr froh, aber kaum war die Tür ins Schloß gefallen, wurde ich doch ein bisschen traurig. Finn hat bislang noch nie alleine bei einem Freund übernachtet, und ich fürchtete mich vor einem nächtlichen Anruf, dass ich Finn abholen müsse, weil etwas schiefgegangen sei. Am meisten Sorgen bereitete mir die Tatsache, dass Finn manchmal noch nachts ins Bett macht. Ich hatte ihm spezielle Windeln mitgegeben, allerdings wusste ich nicht wie Patrick das aufnehmen würde. Vor allem besteht die Gefahr, dass er es später in den Schule herumerzählen wird und Finns Klassenkameraden ihn dann hänseln. Das war bislang mit einer der Hauptgründe warum ich einen Sleep-Over für Finn vermieden hatte.

Der Anruf blieb aber aus, ich bekam nur am nächsten Morgen eine SMS von Breanainn in der er schrieb, alles sei prima und Finn sei guter Dinge. Mir fiel ein Stein vom Herzen. Jetzt hoffe ich nur, dass Finns Bettnässen in der Schule nicht die Runde macht.

Anfang letzter Woche brach in London ja in einigen Stadtteilen die Hölle los, das habt ihr sicher in den deutschen Medien verfolgt. Es knallte auch in Hackney ordentlich nur nicht direkt in unserer Straße. Meine journalistische Neugier trieb mich aber am Montag auf die Mare Street (eine von Hackneys Hauptstraßen). Auf dem Weg dorthin kamen mir auch einige vermummte Randalierer entgegen, die allerdings an mir kein Interesse hatten, sondern vor der britischen Polizei flüchteten.

Der Mob war gerade durch die Mare Street gezogen und dort war inzwischen alles abgesperrt. Überall auf der Straße lagen Glassplitter und sämtliche Mülleimer waren umgestoßen worden. Vermutlich von wütenden Randaliern auf der Suche nach Flaschen, die sie durch die Gegend werfen wollten. Die Krawallmacher hatten auch verschiedene Geschäfte geplündert und in einer Seitenstraße stand ein Auto in Flammen. In Hackney Mitte mussten die Verrückten so wild getobt haben, dass die Polizei sich nicht traute einzugreifen. Dort wurden diverse Polizeiautos demoliert, was ich allerdings erst später im Fernsehen sah.

Überall schwirrten Schaulustige und Journalisten mit TV-Kamers herum. Nachdem ich einige Fotos geschossen hatte, machte ich mich auf den Heimweg. Hackney glich einer Geisterstadt. Sämtliche Geschäfte waren geschlossen, keine Autos auf den Straßen und nur vereinzelte Passanten trauten sich vor die Tür. Darunter auch einige Drogendealer, die anscheinend versuchten die Gunst der Stunde zu nutzen, denn die Polizeit hatte ja alle Hände voll mit den Randalierern. Mir wurden auch Drogen angeboten, was mich überraschte – ich wusste gar nicht, dass ich wie jemand aussehe, der Drogen kaufen würde.

Jetzt wird in den Medien wie wild über die Ursachen dieser Unruhen spekuliert. Dabei kommt zum Teil wirklich abenteuerlicher Schwachsinn zu Tage. Meine Meinung ist diese: Hackney ist voller bettelarmer Leute, ob die jetzt durch eigenes Verschulden arm wurden oder aber einfach keine Jobs finden, vermag ich nicht zu sagen. Vermutlich beides. Weil das schon seit 40 Jahren so geht (Hackney ist ein klassischer Einwandererstadtteil) und viele Immigranten in den 1960er und -70er Jahren aus den ehemaligen britischen Kolonien nach UK eingeladen wurden, um die Arbeiten zu machen, die die Briten nicht mehr machen wollten, hat sich daraus ein großes Problem entwickelt. Denn: Die Integration dieser Einwanderer ist nie richtig gelungen, viele der Billig-Jobs gibt es nicht mehr und jetzt herrscht in Hackney große Arbeitslosigkeit. Was folgt kann sich jeder denken: Verbrechen, Gewalt und organisierte Kriminalität. Hackney hat ein massives Problem mit kriminellen Gangs. Kein Politiker will sich wirklich mit diesen Themen auseinandersetzen, denn damit kann man keine Wahlen gewinnen. Es hat sich hier also eine soziale Unterschicht ausgebildet, die nur auf eine Gelegenheit wartet, ordentlich draufzuhauen und denen die Konsequenzen völlig egal sind, sie fühlen sich sowieso nicht als Teil der Gesellschaft.

Natürlich gibt es auch Leute, die auf die Tour reiten, nicht in die Gesellschaft integriert werden wollen, und stattdessen lieber den Sozialstatt ausbeuten und nebenbei Kohle mit kriminellen Delikten verdienen.

Dazu kommt eine Dimension, die es in Deutschland bei Immigranten, glaube ich zumindest, so nicht gibt: Es herrscht in diesen Kreisen oft ein großer Hass auf die (weißen) Briten, denn viele Einwanderer kommen wie gesagt aus ehemaligen britischen Kolonien, die lange Zeit hemmungslos ausgebeutet wurden. Dieser Hass wird zum Teil von Generation zu Generation weitergegeben und existiert auch noch bei der zweiten und dritten Generation. Die Briten hören das in meinen Augen nicht gerne und diese Seite der Medaille wird auch in den Medien wenig diskutiert. Wie man so ein Problem lösen kann, weiß ich allerdings auch nicht.

Die Kürzungen, die die konservative Regerung derzeit plant, werden die Misere aber mit Sicherheit verschlimmern. Viele Jugendliche stehen in Hackney auf der Kippe und wenn es plötzlich weniger Sozialarbeiter gibt, dann werden solche Jugendliche von Gangs rekrutiert. Die Folge sind garantiert mehr und nicht weniger Unruhen. Außerdem soll ja auch bei der britischen Polizei massiv gekürzt werden was ich für kompletten Wahnsinn halte.

Aber kommen wir doch wieder zum Thema Vatersein zurück. Am Montag kommen Sue und Josh zurück, und ich bin froh, wenn ich mich wieder ausgiebig meiner Arbeit widmen kann. Was für nächste Woche geplant ist, weiß ich noch nicht genau. Außer, dass ich Finn versprochen hatte, zu McDonald’s zu gehen, weil er nicht mit nach Wales gefahren ist. Meine Kinder gehen allerhöchstens zweimal im Jahr zu McDonald’s, weil ich den Laden auf den Tod nicht ausstehen kann. Finn liebt es aber und würde garantiert jede Woche gehen, wenn wir ihn denn ließen. Jetzt hoffe ich nur, dass sich das Wetter hält, es war nämlich in den letzten Tagen sehr schön sommerlich, und wir konnten öfter in den Park gehen.

In der Hoffnung, dass das Wetter in Deutschland auch gut ist und ihr ebenfalls in den Park gehen könnt, verabschiede ich mich für diese Woche von der Themse.

Many greetings,

Frank
Hackney am 8.8.11Bild: Hackney am 8.8.11

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Kommentare von Lesern:

 
Frank, London:
22.08.2011 12:42
Hallo,
vielen Dank für die Anregungen. Mit dem Thema Diät werden wir uns mal beschäftigen, und ich schaue mir auch den Artikel an.
Silke, Berlin:
22.08.2011 10:13
Hi Frank,
vielleicht weisst Du's schon, aber egal: In der Wochenend-TAZ war ein Artikel ueber Menschen mit Asperger. "Wie von einem anderen Stern" (oder so aehnlich) war der Titel. Gruss aus Berlin!
Vollzeitvater:
21.08.2011 10:54
Die Bücher dazu sind in Deutschland schwer zu bekommen, aber schau doch mal hier:

autismweb.com/diet.htm

Da gibt es auch eine Aufzählung passender Bücher, die sind natürlich alle auf englisch, aber ich vermute mal, dass das kein Problem darstellt. ;)
Frank, London:
20.08.2011 11:55
Vielen Dank fuer eure Kommentare. Nein, Finn war nicht mit von der Partie, als ich mir die Riots anschaute. Meine Frau fand die Idee sowieso nicht so gut, denn ich wollte am naechsten Tag nochmal gehen, aber es wurde mir untersagt.

Dass mit der Diaet haben wir noch nicht versucht. Gibt es dazu Literatur?
Norbert:
16.08.2011 15:37
Glückwunsch zum großen Schritt für Finn! Ereignisreiche Zeiten...
Vollzeitvater:
16.08.2011 10:13
Das mit Mc Doof beantwortet ja auch indirekt meine Frage nach der gluten and casein free diet für autistische Kinder.
Habt ihr das denn schon mal versucht?
Volker Kassel:
15.08.2011 21:42
Ich bin in London in den 90igern mal in einen Riot reingeraten, damals gabe es eine Großdemo gegen die BNP die irgendwo ein Büro eröffnen wollte. Es flogen Backsteine und Schlagstöcke noch und nöcher, aber irgendwie hatte man als Unbeteiligter nicht das Gefühl wirklich in Gefahr zu sein. Die Anarchos konzentrierten sich auf die Polizei und umgekehrt... Aber trotzdem gut zu lesen dass Ihr OK seit!
Yvonne, Berlin:
15.08.2011 13:32
Das ist ja ganz schön mutig, sich in diese Unruhen reinzuwagen! Hattest du Finn denn dabei, oder ist er in den sicheren vier Wänden Zuhause gebieben?

Tagebuch Frank H. Diebel

Frank H. Diebel
Alter: 44 Jahre
Wohnort: London
Beruf: Journalist
Familienstand: verheiratet
Geburtstag Kind: Finn: 23.10.00; Josh: 2.9.02
Letzter Eintrag: 19.12.2011

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