väterzeit.de - Vater sein, Mann bleiben

14.03.2011 7. Woche
Schrift vergrößern     Schrift verkleinern

Die Bretter, die die Welt bedeuten

Skelette sind cool, Hände in den Hosentaschen, Lucky Luke und „Dennis, die Nervensäge“, Morgenmuffel, Fußball im Park, Fragen über Fragen
„Als Skelett? Wieso gerade als Skelett?“, fragte ich ungläubig. „Na, weil das die beste Rolle ist!“ antwortete Josh. Ein schlagendes Argument. Nächste Woche führt Joshs Klasse ein Mini-Info-Theaterstück („Health and the Human Body“) auf oder wie auch immer man das nennen soll. Josh ist schon völlig aus dem Häuschen, weil der das Skelett spielen darf, die coolste Rolle wie er zu Recht findet.

Diese Woche war Finns Klasse mit Aufführungen an der Reihe. Kate, die Musiklehrerin der Schule, ist sehr ehrgeizig und ihr Enthusiasmus ist ansteckend. Sie studierte mit Finn und seinen Mitschülern nichts geringeres als den Jazz-Song „It ain’t mean a thing if it ain’t got that swing“ ein. So richtig mit Tanzbewegungen und allem. Natürlich zählt hier vor allem die gute Absicht und es geht nicht um eine authentische Reproduktion. Selbstverständlich gab es die ein oder andere Panne, und Kate musste immer mal wieder eingreifen, aber alle hatten Riesenspaß und das war ja die Hauptsache.

Aus irgendeinem mir unerfindlichen Grund hatte Finn beschlossen großartig mitzusingen (er hat kein Lampenfieber und eine gute Stimme), aber er vergrub seine Hände in den Hosentaschen. Dort blieben sie während der gesamten Aufführung. An sich war das kein Problem, bloß hatten die anderen Kinder die wildesten Armbewegungen einstudiert. Und Finn war der einzige, der die Hände in den Hosentaschen hatte. Warum? Ich weiß es nicht, und als ich ihn später nach dem Grund fragte, wurde er mächtig sauer und meinte, es sei völlig in Ordnung, seine Hände in den Hosentaschen zu vergraben. Asperger lässt grüßen! Natürlich sah es witzig aus, denn die anderen Kids wedelten wie wild mit den Armen während Finn mit hoch gezogenen Schultern wie ein Matrose dastand. Aber niemand machte eine dumme Bemerkung, schließlich ist bekannt, das Finn autistisch ist und sich manchmal etwas exzentrisch verhält.

Anscheinend war diese Woche in der Schule „Showbiz“ angesagt, denn am Mittwoch war „World Book Day“. Die Schüler – die sonst Schuluniformen tragen müssen – dürfen an diesem Tag als Lieblingsbuchcharakter verkleidet kommen. Meine Frau wirbelte schon am Montag durchs Haus und trug Kleidungsstücke für Kostüme zusammen. Finn wollte als Lucky Luke gehen und Josh als „Dennis the Menace“ in Deutschland auch bekannt als „Dennis, die Nervensäge“. Nicht das Josh eine Nervensage wäre, eher das Gegenteil. Aber man muss ja Vorbilder haben …

Mittwochs arbeitet meine Frau, und sie geht schon recht früh (ich bin jedenfalls der Ansicht, dass 7.30 Uhr früh ist) aus dem Haus. Also wurde mir die Verantwortung für das fachgerechte Anlegen der Kostüme übertragen. Nicht das ich mich darum gerissen hätte, denn ich bin ein ausgewachsener Morgenmuffel mit dem vor 10 Uhr nichts anzufangen ist – nicht einmal nach dem Genuss größerer Mengen Kaffee. Zum Glück sind bei meinem Nachwuchs die Äpfel nicht weit vom Stamm gefallen, denn sie sind beide auch keine Frühaufsteher. Ich habe von anderen Eltern gehört, dass ihr Nachwuchs bereits um 6 Uhr kreischend auf der Matte steht.

Meine Frau hasst es im übrigen, wenn ich morgens nicht aus dem Bett komme, vor allem am Wochenende. Ich kann zu meiner Verteidigung nur sagen: Journalisten stehen grundsätzlich nicht früh auf. Ein Chefredakteur der Londoner Times verlegte mal den Arbeitsbeginn seiner Redaktion auf 15 Uhr, weil er immer erst in den Morgenstunden zu Bett ging und um die Mittagszeit aufstand. Im Vergleich zu diesem Kollegen bin ich ja fast noch ein Frühaufsteher. Ich habe diese Geschichte übrigens meiner Frau erzählt, aber es brachte nichts. Sie ist trotzdem genervt, wenn ich morgens nicht aus den Federn komme. Oder ist das ein „weibliches“ Problem? Meine Mutter war nämlich auch immer genervt, wenn ich morgens nicht aufstand. Ich bin eben ein ewiger Teenager. Um hitzige Diskussionen zu vermeiden, werde ich allerdings öffentlich nicht preisgeben, wann ich am Wochenende aufstehe. Nur so viel sei gesagt: Es reicht, um meine Frau auf die Barrikaden zu treiben.

Ich sah dem Mittwoch also mit Sorge entgegen. Es ist schwierig genug, morgens die Rangen und mich aus dem Bett zu kriegen und dafür zu sorgen, dass sie rechtzeitig fertig sind und wir nicht zu spät kommen. Kostüme bedeuten ein zusätzliches Hindernis bei diesem Hürdenlauf. Außerdem kam erschwerend hinzu, dass Finn manchmal spontan beschließt dieses oder jenes Kleidungsstück nicht zu tragen. Zum Glück hatte er an diesem Morgen gute Laune und alles klappte reibungslos. Letztes Jahr entschied sich Finn am „World Book Day“ morgens, sein Kostüm nicht anzuziehen. Er wollte stattdessen ein ganz anderes Kostüm. Natürlich war es dafür zu spät, und es gab Tränen.

Traumatisch kann auch das Echo der Klassenkameraden sein. Wenn man mit stolz geschwellter Brust in die Schule spaziert und niemand kann mit der Verkleidung etwas anfangen – ein schrecklicher Moment. Mir ging das selbst einmal so. Ich kam als Adam Ant (die Älteren unter Euch erinnern sich sicher an „Stand and Deliver“ und andere tolle Songs) ins Klassenzimmer, aber niemand wusste genau, wer ich sein sollte (trotz meiner feschen Kostümierung). Natürlich kannten alle Adam Ant nur sah ich eben nicht aus wie er. Peinlich, peinlich. Nun, ja, die Zeit heilt (fast) alle Wunden.

Der Mittwoch verlief aber prima. Am Donnerstag spielten die Jungs nach der Schule im Park Fußball. Manchmal treffen wir dort auf den achtjährigen Henry und seinen Großvater. Wenn das Wetter gut ist, gehen wir im allgemeinen durch den Park nach Hause. Henry ist ein begeisterter Fußballer und er mag Finn und Josh. Da ich selbst mit „footie“ wie es die Briten liebevoll nennen, nichts am Hut habe bin ich froh, wenn Henry mir das abnimmt. Meistens setze ich mich auf die Bank und lese, während die Jungs den Ball durch die Gegend treten. Natürlich war es an ebenjenem Tag extrem windig und kühl (obwohl die Sonne schien), aber ich brachte es nicht übers Herz, die Jungs um ihr Fußballvergnügen zu bringen. Also setzte ich mich 1 ½ Stunden auf die Bank und las, während die Jungs sich austobten. Im Grunde kam es mir ganz gelegen, denn ich hatte noch etliches beruflich zu lesen, und das konnte ich auf diese Weise nachholen.

Am Samstagmorgen kamen wir übrigens in den Genuss einer weiteren Asperger-Spezialität. Finn und ich nahmen ein Bad (wie so oft am Wochenende) und er hatte sich in den Kopf gesetzt, mich davon zu überzeugen, mein Handy reparieren zu lassen. Das gute Stück hatte sich leider auf einer Spritztour mit meinem MG verabschiedet. Ich hatte mich aus Versehen auf einen Bordsteinkante gesetzt, während sich mein Handy noch in der Hosentasche hinten befand. Die Sache ist die: Wenn Finn sich etwas in den Kopf gesetzt hat, dann kann er wie besessen sein. Er fragt immer wieder nach, auch wenn er stets die gleiche Antwort bekommt. Es hat den Anschein als ob er schwer hörte, was er nicht tut (wir haben es testen lassen).

Tatsache ist – dies ist ein weiteres Asperger-Symptom. Manche Gespräche laufen in immer gleichen Schleifen ab. Oft wird das zu einer täglichen Routine, zum Beispiel fragt mich Finn heute schon jeden Tag, wann wir nach Deutschland fliegen (obwohl er weiß wann wir fliegen) und in welches Restaurant gehen, um den 70. Geburtstag meines Vaters zu feiern, obwohl ich ihm schon mehrfach gesagt habe, dass ich es nicht weiß. Der Professor in der Spezialklinik in der Finns Autismus diagnostiziert wurde, erklärte uns, dass sich Aspergerkinder auf diese Weise beruhigen würden. Diesselbe Information immer wieder zu hören sorgt für Gewissheit, so wie andere Kinder immer wieder diesselbe Gute-Nacht-Geschichte hören wollen. Das kann im Alltag anstrengend sein, denn manchmal stellt Finn am Tag bis zu 100 Fragen (oder vielleicht sind es auch mehr, wir haben es noch nie gezählt).

Dazu aber vielleicht an anderer Stelle mehr. Es ist schon sehr spät, und ich will jetzt noch eine Zigarette rauchen.

Bis nächste Woche,

Frank

Dieses Tagebuch abonnieren:


Neuer Beitrag? Bitte schicken Sie mir eine Nachricht! Die Benachrichtigungen kann ich durch Anklicken des "beenden"-Links am Ende jeder eMail stoppen.
Meine eMail:

Kommentar zu diesem Beitrag schreiben:

Name, Ort:
Mein Kommentar:

Kommentare von Lesern:

 
Jana, Bayern:
16.03.2011 19:23
Hallo Frank,

ich kann mich Volker nur anschließen. Ein wirklich interessantes Tagebuch, auf das ich mich jede Woche freue.

Grüße
Jana

Frank, London:
16.03.2011 14:30
Hallo Volker,

das freut mich sehr. Mir macht das Schreiben auch großen Spaß.

Vielen Dank!

Frank
Volker Kassel:
16.03.2011 12:04
Hallo Frank,

einfach mal Danke für dein wöchentliches Tagebuch - ich lese die Beiträge immer sehr gern!

Tagebuch Frank H. Diebel

Frank H. Diebel
Alter: 44 Jahre
Wohnort: London
Beruf: Journalist
Familienstand: verheiratet
Geburtstag Kind: Finn: 23.10.00; Josh: 2.9.02
Letzter Eintrag: 19.12.2011

Alle Väter-Tagebücher lesen   Alle Väter-Tagebücher
Tagebuch lesen  7. Woche
Die Bretter, die die Welt bedeuten