väterzeit.de - Vater sein, Mann bleiben

04.04.2011 10. Woche
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Der nackte Gangster

Höhepunkte – nicht bei uns; Montagmorgen; Schlafmangel; Schulwebseite; Freunde „teilen“: Besuch bei Lisander; Elternsprechstunde; emanzipierte Männlichkeit: ja, Kochen: nein; Hasenparanoia; der nackte Gangster
Vorwort
Manchmal frage ich mich, bevor ich mit dem Schreiben des Tagebuchs beginne, ob die zurückliegende Woche einen Höhepunkt hatte. Meistens stelle ich fest, dass sie keinen hatte. Woran das wohl liegt? Vielleicht daran, dass unser Leben kein Hollywood-Film mit wohltemperierten Spannungsmomenten ist. Vermutlich. Natürlich könnte ich mir einen Höhepunkt aus den Fingern saugen und die Leser würden sich dann fragen, warum das jetzt der Höhepunkt sein soll, aber das werde ich nicht tun. Der Grund: Ich will ein authentisches Tagebuch schreiben, frei von der Leber weg und den Lesern einen echten Eindruck davon vermitteln, was im Hause Holtom-Diebel so vor sich geht.


Der Montagmorgen war wie gewohnt ein schwieriges Unterfangen. Wem fällt es schon leicht, an einem solchen Tag aufzustehen. Finn schlummerte noch tief und fest als ich die Tür zum Kinderzimmer öffnete (Finn und Josh teilen sich ein Zimmer, mehr dazu in einem der nächsten Beiträge) und blieb nach dem Aufwecken bis zum allerletzten Moment im Bett. Den Abend vorher war er nämlich so aufgedreht gewesen, dass er erst um 23 Uhr zu Ruhe kam. Ehrlich gesagt frage ich mich oft wie er durch den Tag kommt, aber der Schlafmangel scheint ihm nicht allzu viel auszumachen. Allerdings gehe ich selbst auch oft spät ins Bett und bin trotzdem am nächsten Tag gut drauf. Meine Frau musste ausnahmsweise am Montag arbeiten und so lag es an mir, die Jungs morgens aus dem Bett zu werfen und um 15.30 Uhr von der Schule abzuholen. Übrigens: Unsere Schule hat eine Webseite. Wen es interessiert, der kann ja mal einen Blick auf die St John of Jerusalem Primary School werfen: www.st-johnjerusalem.hackney.sch.uk

Das Wetter am Montag war gut und ich beschloss, nachmittags das Auto stehen zu lassen. Auf dem Schulhof hatten die Racker und ihr Freund Lisander, genannt Lissie, seine Mutter Mimosa schon so lange bearbeitet, bis sie schließlich einwilligte, dass Josh zu Besuch kommen durfte. Es gab einen bangen Augenblick, als Finn fragte ob er auch erwünscht war (Lisander ist eigentlich Joshs Freund), aber Mimosa willigte zum Glück ein. Finn hat in der Vergangenheit oft sehr geweint, wenn er nicht mitgehen durfte, und mir wurde es dann immer schwer ums Herz. Zum Glück ist es inzwischen so, dass Finn und Josh sich manche Freunde „teilen“.

Die geschätzten Leser werden sich sicher freuen zu hören, dass der Filmclub am Dienstag wie gewohnt seine Pforten öffnete, weil inzwischen mein Honorar überwiesen worden war. Mir fiel ein Stein vom Herzen, denn wenn Kinder sich auf etwas freuen, kann es unangenehme Konsequenzen haben, wenn man kurzfristig absagen muss.

Dem Mittwoch sah ich schon mit Sorge entgegen, denn es war Elternsprechstunde. Das lag allerdings weniger an der Sprechstunde als an der Tatsache, dass die Schule schon um 13.30 Uhr aus war, und ich somit weniger Zeit zum Arbeiten hatte. Alle sechs Monate laden die Klassenlehrer die Eltern zu 15minütigen Einzelgesprächen ein. Besprochen wird alles was anfällt: Kommt der Nachwuchs im Unterricht mit, was fällt leicht, was fällt schwer, worauf sollen die Eltern achten und natürlich haben die Lehrer ein offenes Ohr für etwaige Beschwerden, Fragen und Anregungen der Eltern. Eine gute Einrichtung, wie ich finde. Insbesondere für Finn ist die Sprechstunde wichtig, denn seine Klassenlehrerin Michelle muss stets ein Auge auf ihn haben. Allerdings treffen wir uns sowieso mit ihr in kürzeren Abständen, weil wir unbedingt regelmäßig über Finns Fortschritt auf dem Laufenden gehalten werden wollen. Es kann nämlich sein, dass er vom Unterricht nur wenig mitbekommt, weil er sich leicht ablenken lässt. Das passiert bei Aspergerkindern öfter und oft kommt das Ungemach erst ans Tageslicht, wenn die Kids schon stark hinterherhinken. Ich hatte mich aber entschlossen, die Elternsprechstunde ausfallen zu lassen und mit den Jungs nach Hause zu gehen, um zu arbeiten. Manchmal drücken die Deadlines eben ganz arg. Zum Glück hatten Finn und Josh schon ein neues „Besuchsopfer“ ausgemacht: Finns Klassenkamerad Milo hatte die Beiden eingeladen. So hatte ich zwei Stunden mehr in denen ich mich meiner Arbeit widmen konnte.

Hatte ich eigentlich schon erwähnt, dass ich zumindest an den drei Tagen, wenn meine Frau unterrichtet, auch für die Jungs kochen muss? Obwohl mir das Vater-Sein großen Spaß macht, ist die Kocherei ein Spießrutenlauf. Ich bin voll und ganz für emanzipierte Männlichkeit, so lange ich nicht den Kochlöffel schwingen muss. Kochen hasse ich wie die Pest. Ja, Ihr habt richtig gelesen: Ich hasse es wie die Pest. Am liebsten würde ich die Küche nur betreten, um die Kaffeemaschine einzuschalten. Zum Glück bin ich kein Gourmet und so konnte ich mich als Junggeselle mit Leberkäsebrötchen und Mirácoli über Wasser halten. Meine Frau findet das unglaublich, denn sie kocht (zum Glück) für ihr Leben gern. Wer sich jetzt fragt, ob ich es denn jemals probiert habe, dem kann ich nur antworten: ja! Ich habe es probiert und fand es grauenhaft. Vor einigen Jahren – als ich noch angestellt war – und ich eine zeitlang aus Krankheitsgründen öfter zuhause war, beschloss ich, die Zeit zu nutzen, um den Kochdämon zu bezwingen. Um es gleich vorwegzunehmen: Der Unhold behielt die Oberhand. Ich kochte tagelang alle möglichen Gerichte von Geschnetzeltem bis zu gefüllten Paprikaschoten – alles was das Kochbuch hergab. Aber es war nichts zu machen. Zum einen brauchte ich im Schnitt drei bis vier Stunden, um ein Mahl zuzubereiten und dann schmeckte es rauf wie runter. Nicht mit Liebe gekocht eben. Ehrlich gesagt war es schade um die Zutaten, und so hängte ich die Küchenschürze an den Nagel. Seitdem rühre ich den Kochlöffel nur an, wenn es gar nicht anders geht. Zum Beispiel von Dienstag bis Donnerstag. Obwohl man das kaum als Kochen bezeichnen kann. Dienstag gibt es Pizza, die ich nur in den Ofen schieben muss. Mittwoch gibt es Fischstäbchen und Pommes, die ich auch nur in den Ofen schieben muss. Und Donnerstag mache ich Pasta mit Pesto. Dafür muss ich immerhin Nudeln kochen. Den Rest der Woche meide ich die Küche wie der Teufel das Weihwasser.

Donnerstag war ein schöner Frühlingstag, und ich holte die Jungs wieder zu Fuß von der Schule ab. Joshs Freund Sam begleitete uns, obwohl er erst behauptet hatte, er hätte sich den Fuß verstaucht. Er konnte aber doch recht gut laufen. Zuhause angekommen spielten die Jungs mit unseren Laptops und Fußball im Garten und anschließend gab es Pasta.

Sonntag schien wieder die Sonne und unser Hase Chip wurde – mitsamt Käfig – in den Garten geschleppt. Wir sind nämlich etwas nervös, wenn es um Hasen geht. Unser letzter Meister Lampe hatte schon nach einigen Tagen seine Lebensgeister ausgehaucht. Wir wissen bis heute nicht woran das arme Vieh eingegangen ist. Er verbrachte allerdings vor seinem Ableben einige Zeit im Garten und meine Theorie war, dass er sich dort etwas einfing. Außerdem gibt es in Hackney jede Menge Großstadtfüchse, die auch manchmal tagsüber durch unseren Garten streifen. Deswegen darf Chip wenn überhaupt nur mit Käfig in den Garten. Sue ging anschließend mit den Jungs ins Kino, weil ich mal wieder arbeiten musste.

Nachwort
Und wieder neigt sich eine Woche ohne Höhepunkte dem Ende entgegen. Es gab aber immerhin ein sehr denkwürdiges Ereignis (was ich nicht unbedingt als Höhepunkt bezeichnen würde). Nachdem ich am Dienstagmorgen die Jungs in der Schule abgeliefert hatte, bemerkte ich in der Straße in der unser Kombi geparkt war, einige Polizeiautos. Nun sind Polizeiautos in Hackney keine Seltenheit. Die Kriminalität in unserem Stadtteil ist recht hoch und man hört täglich Sirenen. Wenn wir manchmal abends Krimis schauen, wissen wir nicht immer genau, ob die Sirenengeräusche aus dem TV oder von draußen kommen. Und so dachte mir nichts dabei, die Polizei an der Schule zu sehen. Mir fielen allerdings fast die Augen aus dem Kopf, als ich drei britische Beamte erblickte wie sie einen splitterfasernackten Mann in Handschellen abführten. Offensichtlich hatten die Ordnungshüter es sehr eilig gehabt. Selbst die abgebrühten Beamten von der Metropolitan Police (wie die Polizei in London heißt) waren angesichts des nackten Gangsters etwas beschämt. Insbesondere, weil sich unter den Beamten auch eine Frau befand. Es ist also doch wahr, dass das Leben die besten Geschichten schreibt.

Bis nächste Woche,

Frank

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Tagebuch Frank H. Diebel

Frank H. Diebel
Alter: 44 Jahre
Wohnort: London
Beruf: Journalist
Familienstand: verheiratet
Geburtstag Kind: Finn: 23.10.00; Josh: 2.9.02
Letzter Eintrag: 19.12.2011

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