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30.01.2011 2. Woche
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Schlittschuhlaufen & Gourmet Burger

Ausflug nach Winchester – Finns Asperger – Filmclub nur für Männer – englische Geburtstagspartys – Indoor-Abenteuerspielplätze in London
Ich sitze im Café und genieße die relative Ruhe. Es ist Mittwoch, 14.25 Uhr. Draußen regnet es, was ungünstig ist, denn ich bin zu Fuß ins Café gelaufen, um die Jungs von der Schule abzuholen. Das wird garantiert Genöle nach sich ziehen.

Morgen ist ein großer Tag für Finn, denn seine Klasse macht einen Ausflug nach Winchester ins Planetarium und das Wissenschaftsmuseum. Um 7 Uhr werde ich ihn in der Schule absetzen und auf dem Hinweg seinen besten Freund Milo mitnehmen. Mir graut davor. Welcher Journalist steht schon gerne früh auf? Aber Finn ist sehr aufgeregt und hat mir heute schon den ganzen Morgen erzählt, mit welchen Leckereien Mami seine Lunchbox auffüllen wird.

Ach so, was ich letzte Woche nicht erwähnt habe: Mein Sohn Finn hat Asperger, eine Spielart des Autismus. Wenn ich Autismus sage, dann denkt jeder sofort an Dustin Hoffman in „Rain Man“, aber Finns Symptome sind etwas anderer Natur (wobei es auch Ähnlichkeiten gibt). Er lernt keine Telefonbücher auswendig, und er löst auch keine komplexen Rechenaufgaben im Kopf. Stattdessen stellt er gerne Fragen (gerne auch dieselben), ist von bestimmten Themen sehr fasziniert (derzeit sind es Autos und Computerspiele) und hat gerne einen geregelten Tagesabflug (also genau wie Raymond in „Rain Man“).

Viele Alltagsdinge kann Finn eigenständig erledigen. Seine Probleme liegen eher im sozialen Bereich. Die menschliche Kommunikation ist ja eine komplizierte Angelegenheit und Finn verheddert sich manchmal in ihren Netzen. Zumindest ein Teil unserer Kommunikation läuft unbewusst und somit praktisch „automatisch“ ab. Mich erinnert das ans Tanzen (mit Partner). Und um bei der Metapher zu bleiben: Finn gerät eben manchmal aus dem Takt. Oder er tritt seiner Partnerin auf die Füße. Oder beides. Er sagt und tut Dinge, die er nicht sagen oder tun sollte (zum Beispiel anderen Kindern öfter über den Kopf streichen). Erwachsene finden das manchmal komisch, andere Kinder nicht.

Solange er sich in vertrauter Umgebung aufhält, geht es meist gut. Schwierig wird es, wenn er alleine ist, wenn er sich neu orientieren muss, neue Kontakte knüpfen will, neue Gewohnheiten erlernen muss und so weiter. Da hapert es bei ihm.

Das Fragen stellen (vor allem, wenn es sich um dieselben Fragen handelt), vermittelt ihm ein Gefühl von Vertrautheit, so wie nicht-autistische Kinder gerne dieselbe Gute-Nacht-Geschichte immer wieder hören wollen. Ich will aber jetzt nicht zu weit ausholen. Es wird sicher noch viele Gelegenheiten geben, über Finn zu schreiben. Und natürlich soll Joshi auch nicht zu kurz kommen ...

Wo war ich stehengeblieben? Ich sitze immer noch im Café und es regnet noch. Ach, was. Wir laufen im Regen nach Hause, das hat so was wild-romantisches. Meine Frau arbeitet heute. Sie unterrichtet drei Tage Kunst an einer privaten Schule im Londoner Stadtteil Hampstead. Da englische Kinder den ganzen Tag in die Schule gehen, verlässt sie um 7 Uhr das Haus und kommt erst um 19 Uhr wieder. In London unterwegs zu sein ist zeitraubend, ob mit dem Auto (und auch sehr teuer wegen der Innenstadtmaut) oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Wer nicht gerade zu Fuß oder mit dem Fahrrad unterwegs ist, oder neben einer Tube-Station wohnt, sollte mindestens mit einer Stunde Fahrtzeit rechnen. Obwohl die Entfernungen, die man in dieser Stunde zurücklegt, lächerlich gering sind. Aber ich habe mir sagen lassen, dass das in Großstädten wie Tokio, New York oder Paris auch nicht anders sein soll.

Wenn ich den Regen sehe, dann wird aus dem Fußballspielen im Park heute sicher nichts. Naja, mal sehen was es im Fernsehen gibt. Wie auch in Deutschland gibt es in Großbritannien mehrere Kinderkänale, von denen meine Jungs aber nur die BBC-Känale sehen dürfen. Die anderen Sender zeigen in meinen Augen zu viel Schrott. Die BBC bemüht sich zumindest, die Unterhaltung für Kinder ansprechend, lehr- und geistreich zu gestalten, was ich von anderen britischen Kinderkanälen nicht behaupten kann.

Gestern fand übrigens unser wöchentlicher Filmclub statt. Dienstagabends geht meine Frau Flamenco tanzen und wir (die Jungs und ich) schauen uns eine DVD an. Finn und Josh sollen sonst nach Möglichkeit unter der Woche keine DVDs schauen. Damit die Woche nicht so lange wird, habe ich den Filmclub am Dienstag eingerichtet. Ich kaufe Pizza und ab und an auch einen neuen Film. Mir liegt selbst sehr viel an Kinofilmen, habe ich doch vor langer Zeit in Frankfurt Theater, Film- und Fernsehwissenschaften im Nebenfach studiert. Und auch eine zeitlang Filmkritiken für die andere Zeitung geschrieben, aber das ist ein anderes Thema.

Der Filmclub ist übrigens eine reine Männersache. Frauen (ob alt oder jung) haben keinen Zutritt. Das ist keineswegs sexistisch zu verstehen, aber viele Mädchen finden Filme wie Star Wars oder Transformers doof. Jedenfalls die Mädchen, die Finn, Josh und ich kennen (meine Frau miteingeschlossen, sie kann Star Wars auf den Tod nicht ausstehen). Wie dem auch sei. Der Filmclub ist eine Männerveranstaltung und das soll auch so bleiben, Emanzipation hin oder her. Meine Frau geht schließlich auch immer mit ihren Freundinnen in den Pub (Männer sind bei dieser Veranstaltung nicht erwünscht).

Eines wollte ich noch kurz (als ob ich mich wirklich kurz fassen könnte ;-)) anmerken: Jemand hatte nach meinem ersten Tagebucheintrag angefragt, ob wir reich seien, weil wir in London wohnten und das so teuer sei. Nein, wir sind nicht reich (wären es aber gerne, ich bin da ehrlich). Eher umgekehrt. Aber wir haben uns vor zehn Jahren eine winzige Zweizimmerwohnung in Hackney gekauft. Kaufen war damals günstiger als mieten, denn die Immobilienpreise im Londoner Osten waren noch ziemlich niedrig.

Seit feststand, dass die Olympiade 2012 nach London kommt, schossen die Preise in die Höhe. Außerdem waren die Banken damals bei der Vergabe von Krediten großzügig und so kauften wir mit Hängen und Würgen ein viktorianisches Reihenhaus (und verkauften die Wohnung). Heute könnten wir unser eigenes Haus nicht mehr finanzieren. Ansonsten ist London wirklich teuer. Wir gehen aus diesem Grund auch nicht viel aus. Aber ich mag es trotzdem. Ich muss nicht unbedingt ausgehen, mir genügt schon ein Spaziergang an der Themse.

Die Zahl der Hausbesitzer in UK ist übrigens wesentlich höher als in Deutschland, weil es bislang recht einfach war, Immobilien zu finanzieren.

Am Sonntag sind Finn und Josh zu einer Geburtstagsparty eingeladen. Schlittschuhlaufen und anschließend Gourmet Burger (etwas nobler als McDonald’s). Beide sind schon völlig aus dem Häuschen. Soll ich jetzt noch etwas zum Thema Geburtstage in England schreiben? Warum nicht. Die Engländer feiern ihre Kindergeburtstage etwas anders (zumindest im Vergleich zu den Geburtstagen meiner Kindheit in Deutschland), aber dafür auch nur bis zum 10. Lebensjahr, dann werden die Geburtstagspartyaktivitäten stark zurückgefahren. Keine Ahnung, warum das so ist. Wie hatten schon Feiern mit Clowns, DJs, mit Zelt und Buffet (im Park), Alleinunterhaltern, Zauberern, Eltern und Großeltern und ich weiß nicht was.

Allmählich klingt der Geburtstagsrummel bei uns ab und meist läuft es nur noch auf einen Kinobesuch mit Freunden hinaus. Oft feiern die Briten auch aushäusig, zum Beispiel in Indoor-Abenteuerspielpätzen wie (wie zum Beispiel „Kidzmania“ – der Laden heißt wirklich so). Da es in London an Outdoor-Klettergelegenheiten mangelt, wurden diese kurzerhand nach drinnen verlegt. Auf diesen Indoorspielpätzen gibt es alles vom Klettergerüst, über Schaukeln, Rutschen bis hin zur Kinderdisco. Und natürlich kostet das alles auch eine Stange Geld. Aber auf die Indoor-Abenteuerspielpätzen komme ich lieber später noch einmal zu sprechen. Das war es für diese Woche.

Ich grüße alle Leser herzlich von der Themse und wünsche eine schöne Woche. I’ll be seeing you!

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Kommentare von Lesern:

 
Frank, London:
03.02.2011 13:02
Hallo Harri,
also meine Kinder schauen sicher im Schnitt mehr als eine halbe Stunde Fernsehen am Tag. Das liegt aber u. a. daran, dass ich von Zuhause arbeite und deswegen die Kids manchmal vor den Fernseher setzen muss, damit ich mich auf die Arbeit konzentrieren kann. Die Regel ist aber, dass sie nicht mehr als eine Stunde am Tag fernsehen.
Harri, Bad Bentheim:
31.01.2011 23:01
Was habt ihr für ne Regelung wie lange die Jungs vor die Glotze dürfen? Hört sich eher viel an. Hab selbst 2 Kinder mit 8 und 10, die dürfen ne halbe Stunde am Tag. Aber hier gibts auch nich mehrere tv-kanäle für Kids... Ist vielleicht auch was anderes in ner Großstadt.

Tagebuch Frank H. Diebel

Frank H. Diebel
Alter: 44 Jahre
Wohnort: London
Beruf: Journalist
Familienstand: verheiratet
Geburtstag Kind: Finn: 23.10.00; Josh: 2.9.02
Letzter Eintrag: 19.12.2011

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