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Geschwisterposition: Formt sie den Charakter?


Geburtenfolge: Formt sie den Charakter?Bild: Dmitry Naumov-fotolia.com

Nesthäkchen, Erstgeborener, Sandwichkind – viele Eltern meinen, die Geburtenfolge sei bedeutsam für den Lebensweg der Kinder. Und ihren Charakter. Stimmt nicht, fanden Forscher aus Leipzig und Mainz heraus.

Vernünftige Erstgeborene, rebellische Nesthäkchen?


Der Erstgeborene ist immer vernünftig. Schließlich wurde er entthront, war nicht mehr der einzige Liebling, das wollte kompensiert werden. Außerdem musste er - oder sie – auf die jüngeren Geschwister aufpassen. Groß sein war also angesagt. Ist doch logisch, dass dabei so ein etwas coolerer, durchsetzungsfähiger, eher kopfgesteuerter Typ herauskam, oder?

Die Zweite in der Geschwisterreihe ist arm dran. Als Sandwichkind eingequetscht zwischen dem Großen, der mit der Kleinen nichts zu tun haben will, und dem Baby, das danach kam. Also muss sie immer lawieren, muss sich besonders sozial verhalten. Der Große kann schon alles selbst, der Kleine kriegt alles, was er will. Hauen darf man den aber nicht. Und das Sandwichgirl kriegt natürlich gar nix. Kein Wunder, dass sie ihr Dauerunglück betrauert, oder?

Das Nesthäkchen, ach ja. Das erinnert an Kinderbücher, süße Bildchen, Verhätschelt- und Verwöhnt-Werden. Das süße Kleine. Braucht nur mal zu grinsen, schon schmelzen alle dahin. Und Mama und Papa haben ihren Vorrat an Kämpfen schon mit den anderen Kindern aufgebraucht. So ein Mist! Da muss man immer lieb sein, das wird erwartet, aber richtig auseinandersetzen will sich keiner mit einem. Störrischer Rebell, das ist die Rolle des Nachzüglers.

Die meisten Kinder haben Geschwister

Grafik Deutschland - Geschwister

Etwa 13 Millionen Minderjährige leben nach Auskunft des statistischen Bundesamtes in Deutschland. Die meisten, etwa 73%, leben mit ihren Geschwistern zusammen. Davon wohnen die meisten in Zwei-Kind-Familien (47%). Etwa 26% haben zwei oder mehr Geschwister. Ebensoviele wachsen als Einzelkind auf, etwa zwei Prozent mehr als von 20 Jahren.

In Großstädten ist der Einzelkindanteil am höchsten, er liegt bei ca. 30% gegenüber 24% in ländlichen Regionen. Dort leben auch die Familien mit den meisten Kindern, sie brauchen ja mehr Wohnraum. Interessanterweise sind in Ostdeutschland 34% der Minderjährigen Einzelkinder, im Westen hingegen 25%.

Psychologie der Geburtenfolge


Das sind klassische Zuschreibungen für Kinder in ihrer Geburtsreihenfolge. Der Volksmund kennt sie in- und auswendig, auch in populär-psychologischen Ratgeberbüchern finden sich diese oder ähnliche Aussagen. Aber auch namhafte Wissenschaftler versuchten, solche Thesen zu belegen.

Francis Galton, ein englischer Naturforscher, hatte bei seinen Kollegen herumgefragt und herausgefunden, dass viele von ihnen an Platz Eins der Geschwisterfolge standen. Der Grund: Sie würden von ihren Eltern besonders gefördert, schließlich waren sie Stammhalter und Erben und wurden daher mit besonders viel Aufmerksamkeit bedacht. So publizierte er es bereits 1874.

Alfred Adler, der österreichische Tiefenpsychologe, befasste sich in den 20er Jahren des 20sten Jahrhunderts ebenfalls mit den Erstgeborenen. Die Vorteile sah er ähnlich wie Galton. Allerdings würden auch die hohen Erwartungen der Familie auf ihnen lasten, was Versorgung, aber auch Status und die Führungsrolle im Verwandtschaftsverbund angeht. Außerdem würden sie oft „nach unten treten“, weil sie Angst hätten, von den nachfolgenden Geschwistern überholt zu werden.

In Deutschland sehr populär wurde das Buch des us-amerikanischen Psychologen Frank Sulloway: „Der Rebell der Familie“. Er erfand eine Theorie „familiärer Nischen“, in die die Kinder hineingeboren würden. Das habe auch Auswirkungen auf die Persönlichkeitsentwicklung: Erstgeborene seien demnach perfektionistisch, Sandwichkinder besonders sozial, und die Jüngsten wären sozusagen zum Rebellen geboren.

Persönlichkeitsmerkmale und Geschwisterposition


Das klingt alles ganz schlüssig und nachvollziehbar. Aber stimmt es auch? Empirische Daten zu diesen Thesen gibt es nur sehr wenige, noch dazu sind sie schwer vergleichbar. Die Universitäten Mainz und Leipzig untersuchten nun die Daten von über 20.000 Personen aus Deutschland, Großbritannien und den USA. Die Professoren Boris Egloff und Stefan Schmukle fokussierten ihre Untersuchung auf die anerkannten zentralen Persönlichkeitsmerkmale: emotionale Stabilität, Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit und Extrovertiertheit. Die wurden nun mit der Geschwisterposition zusammengebracht.

Das Ergebnis: nix. Ob an erster, zweiter oder dritter Stelle geboren – keine dieser Persönlichkeitseigenschaften war bei einer Stelle in der Geburtenfolge stärker oder schwächer vorhanden. Einen minimalen Unterschied gab es nur bei der Intelligenz. Erstgeborene meinten häufiger, sie hätten einen größeren Wortschatz und könnten abstrakte Ideen gut verstehen. Tests haben außerdem nachgewiesen, dass die Intelligenz in der Geschwisterfolge minimal abnehme. Das sei allerdings ein statistischer Effekt, der über den Einzelnen nichts aussage – ebenso wenig wie über seinen späteren Werdegang.

Das Fazit der Professoren: Die Geschwisterposition spielt bei der Persönlichkeitsentwicklung keine Rolle. Puuh, Glück gehabt, da muss ich mir um meine Kinder keine Sorgen machen. Obwohl – der Älteste ist doch manchmal ein bisschen sehr vernünftig...

Ralf Ruhl

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