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"Flutsch, schon war’s da"


Die zweite Geburt verläuft meist leichter, hatte die Hebamme gesagt. Deshalb hatten wir uns für eine Hausgeburt entschieden. Obwohl wir schon "erfahrene" Eltern waren, zog sich die Zeit bis zur Geburt schier endlos dahin.

Nervös in den Tagen vorher


Di. 21. Mai 2002 21:45
Vermuteter Blasensprung. Um 23:00 gönnen wir uns ein Kölsch in der Kneipe.

Mi. 22. Mai:
Ausgerechneter Termin. Die Hebamme kütt um 9:30 und verabreicht sofort einen Wehencocktail: 2 EL. Rhizinusöl, ein Paar Tropfen Eisenkraut, ein halbes Glas Sekt, 0,3 l. Marillennektar, 2 EL Mandelmus. Bei der Untersuchung stellt sich heraus, dass der "Blasensprung" Urin war. Beim Husten war ein viertel Liter in die Hose gegangen. Um 13:30 CTG bei der Hebamme. 5 Minuten-Wehen eher schwach. 15:45 werden sie stärker und regelmäßiger. Seit 18 Uhr nix mehr.

Do, Fr, Sa, So, Mo:
Meine Partnerin Frau weiß schon beim Aufwachen, dass diesmal wieder nix passieren wird. So abends etwas hilfloses Beten im Vorgebirgspark. Die Sorge, dass etwas passiert und dass die Hausgeburt in einigen Tagen vielleicht ins Krankenhausverlegt werden muss, nistet sich ein und nagt.

Ob es heute losgeht?


Di. 28.Mai:
Beim Aufwachen war dieses Gefühl schon undeutlicher. "Heute ist es nicht wie immer".
13-14:30 beim Mittagsschlaf ganz leichte unregelmäßige Wehen. Ich hatte den vorbereiteten Fenchel und Hirse warm gemacht. Jetzt bemerke auch ich, dass heute die Wehen wie die erhoffte Brise nach langer Flaute kommen.

16:30 Uhr Spaziergang zur Melanchtonkirche. Dort geben wir Altkleider ab. Unsere Erstgeborene spielt am Spielplatz. Beim Rückgehen muss meine Liebste i.d.R. alle 9 Minuten fast eine Minute lang stehen bleiben. Um 18:45 schickt sie mich zum Bergurlaubs-Vortreffen "Mit den Zwergen in den Bergen".
20:30 Anruf bei der Hebamme: Eerst seit 16 Uhr unerhebliche Wehen.
20:45: Nächster Anruf. Seither intensivere Wehen alle 6 Minuten.
21:00 Ich bin wieder zurückda und zähle 6 Minuten-Abstände. Offizieller Geburtstermin, stellt die Hebamme später fest. Ich bereite vor: Zum zweiten Mal überziehe ich das Bett im Wohnzimmer mit der Malerfolie, bereite den Schlafplatz für die Hebamme im Kinderzimmer. Das Pezziball-Aufpumpen ging zeitlich unter, Auto für Notfall organisieren, Bereitschaftsdienst für morgen organisieren: Ein Freund Roland ab 8 Uhr, meine Schwester ab 13 Uhr.

In der Badewanne


22:00: Die Liebste geht in die Badewanne und um 22:30 wieder raus. Kurz vorher gehe ich in die Wanne und esse ein Aldi-Eis. Sie hatte mit der Hebamme vereinbart, dass sie sich um 232:30 nach der Badewanne wieder meldet. Sie sitzt jedoch eine halbe Stunde am Ehebett. Ich zähle die Abstände und stelle fest, dass zwischendrin fast keine Entspannungsphase mehr erfolgt ist. Ich bin alarmiert und beschließe gegen ihren leichten Protest schon um 23.00 anzurufen: "Die Wehenabstände sind unter sechs Minuten, zwischendrin fast keine Entspannungsphase mehr". Ich übergebe den Apparat, währenddessen, kütt eine Wehe. Sie vereinbaren, dass die Hebamme um 23:30 losfährt, aber vorher noch telefoniert. Die Wehenfrequenz erhöht sich auf 3 Minuten, die Entspannung zwischendurch verschwindet fast ganz. Ich erinnere mich an die Geburtsvorbereitung, wo gesagt wurde, dass das zweite Kind meist überraschend schnell kütt. Erstmals kommt mir der Gedanke, dass das Kind schon in kurzer Zeit kommen könnte. Ich beschließe, wiederum gegen den Widerstand der gesammten weiblichen Welt, um 23:20 die Hebamme anzurufen. Meine Liebste beschließt: "Jetzt gehe ich besser mal ins Wohnzimmer".

Die Hebamme ist da


23:45 ist die Hebamme da. Ich hatte Haus- und Wohnungstüre angelehnt. Die Hebamme begrüßt uns und gibt Atemhinweise. Leichte Entspannung. Erste Presswehen. "Versuch, die Stimme innen zu halten!" Meine Liebste versteht nicht, ich übersetze "Ughh, so wiia beim Scheißn" Ultraschall schnell CTG: 120 Puls. Zum exakten CTG reicht die Zeit nicht mehr. Scheidenuntersuchung: Muttermund ist 9 Zentimeter geöffnet. Das Köpfchen ist spürbar. Uff, jetzt geht’s los, denke ich mir. Ich organisiere ein Laken und lege es auf die ausgebreitete Folie vor das Bett. Ich stelle den Gebärhocker drauf. Alles auf Anweisung der Hebamme. Sie breitet das grüne Tuch mit dem OP Werkzeug aus. Einige Tage später beim "Geburtsgespräch" nennt die Hebamme meinen Zustand in dieser Phase "panische Ruhe". Ich positioniere mich hinter meiner Liebsten. Sie nimmt minimale Hilfe in Form von Rückenstütze durch meine Hände an. Sie rutscht von der Bettkante runter auf den Geburtshocker.

Die Unsere erstgeborene Paula hustet übers Babyphon.

Jetzt geht’s schnell


Nach der ersten, bewussten Presswehe sagt die Hebamme: "Jetzt ist die Fruchtblase geplatzt!" Ein viertel Liter ergießt sich rot auf den gut vorbereiteten Boden. Meine Liebste: "Ich habe keine Lust". Ein süßlicher Geruch steigt auf. Sie nimmt mehr Stütze an und sagt: "Komm halt mich fest". Zweite Presswehe. Die Hebamme: "Hier guck mal, da ist der Kopf. Wenn dnie nächste Wehe kommt, hecheln!" Ich übersetze und mach’s vor. Dritte Presswehe: das Kind mit Nase nach unten macht ¼ Drehung nach links (nur 4% der Kinder tun das)und flutsch ist Anna da. 0:03 sagt die Hebamme. Ich denke bewundernd, "dass die bei all dem Chaos auch noch auf die Uhr schaut." Blaue Farbe. Sofort schreien. Ein freudiger Stich geht mir durchs Herz. Meine Liebste legt Anna sofort auf den Bauch. Ich ziehe mein T-Shirt aus und lege Anna später auch an meine Brust. Ich kann’s einfach nicht fassen. Später laufe ich aufgelöst durch Wohnzimmer und Küche: "Des gibt’s do netd, des gibt’s auf kan Schif!"

0:13 kütt der Mutterkuchen. Die Hebamme zieht dazu ordentlich an der Nabelschnur. Ich verständige meine Mutter in Österreich. Morgen um 16 Uhr wird sie in Köln sein.

Die Nachwehen sind fast so schmerzhaft wie die Presswehen. Der Riss Nr. 2 wird genäht. Ich halte die Lampe. Meine Liebste ungläubig: "Und das war ich?" Später spricht sie von der unglaublichen, heftigen Urgewalt. Ich bereite den Champagner vor und die Jause. Die Hebamme zieht sich in die Küche zurück zwecks Geburtsbericht. Sie lässt uns alleine. Komisch, die hat mehr Respekt vor der Privatheit dieses Augenblickes als wir.

Die erste Zeit danach


U1: Alle Werte in Ordnung.
1:15 Anna trinkt. Ich fass es nicht.
2:15 Die frisch gebackene Mutter steht auf, diesmal ohne Gewicht im Bauch. Die Hebamme und ich sichern sie. Dann gehen die beiden ins Badezimmer duschen.
2:30 Jause
3:00 Die Hebamme fährt nach Hause
6:00 Meine Liebste wird wach, legt das Kind an und muss unbedingt mit ihrer Freundin telefonieren.
8:00 Paula wird wach und begrüßt ihre kleine Schwester, lacht sie an!

1. Juni: Geburtsnachgespräch: Erst jetzt, wo wir schrittweise den Prozess reflektieren, wurde uns die gesamte emotionale Dosis bewusst. Die nicht geweinten Tränen und die Liebe zur Frau und Kind können sichtbar werden. Der Nabel fällt endgültig ab.

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