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29.05.2011 4. Woche
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Mit den Nerven zu Fuß

Nichts ist damit vergleichbar, dass das eigene Kind stundenlang brüllt und man als Eltern hilflos und mit den Nerven zu Fuß daneben steht.
22.05.2011 Die Welt ist klein

Wir waren zu einem Geburtstag in Köln eingeladen, inzwischen haben wir ja Routine, was Tagesausflüge angeht, also alles in unser Auto gepackt und los. Es war eine von den Partys, auf denen man niemand außer den Gastgebern kennt, so etwas kann ja fürchterlich nach hinten los gehen und unglaublich langweilig werden. Aber meine Frau und ich müssen dringend unter Leute, also gab es kein Halten.

Vor Köln standen wir im Stau, wo auch sonst. Was macht man, wenn man so im Stau steht? Also wir lästern gerne über andere Mitreisende in Fahrzeugen in unserer Nähe. Die hören einen ja nicht. :)
Meine Frau sagte: "Sieh mal, der schwarze Golf Kombi, da kann man auch schon am Kinderwagen das Geschlecht des Kindes erkennen."

Das stimmte, so rosa, oder besser pink war der Buggy, darin kann man nur ein Mädchen spazieren fahren, ohne rot zu werden. Wir wollten weder blau noch rosa haben, mit nato-grün kann ich gut leben. In diesem Moment fiel mein Blick auf das Nummernschild, oh ein Düsseldorfer, der sich nach Köln traut. Moment, das Nummernschild kenne ich, das ist doch ein Arbeitskollege von mir. Dat jibbet nich. Als wir den Wagen überholten, stellte sich heraus, dass ich Recht hatte, übrigens hat mein Kollege ein wirklich süßes Mädchen, da geht dann auch rosa voll in Ordnung.

Auf der Party angekommen, war schon sehr schnell klar, dass es ein schöner und entspannter Nachmittag werden würde. Alle Gäste waren nett und wir kamen schnell in interessante Gespäche hinein. Plötzlich sagte die Gastgeberin: "Hey, ihr hattet doch am selben Tag geheiratet, wie meine anderen Freunde, oder nicht?"

Öh, Mist, wann war noch mal der Hochzeitstag und warum zum Teufel weiß sie es und ich nicht? Das Summen in meinem linken Ohr wurde lauter: "UUUUND? Wann war unser Hochzeitstag, säuselte meine geliebte Frau."

"10. November", puh gerade noch gerettet, das Jahr wollte sie zum Glück nicht wissen.

Tatsächlich hatte das Paar, mit dem wir uns so angeregt unterhielten, am gleichen Tag im gleichen Jahr zur beinahe gleichen Zeit im selben Standesamt geheiratet. Zufälle gibt es.

Kurze Zeit später folgte die gefährliche Frage eines anderen Paares: "Wie läuft es denn so bei euch zu Hause?"

Die ehrliche Antwort kam synchron mit meiner Frau und in identischem Wortlaut und gleicher Tonlage:

"Wir nerven uns an".

Es war auf einmal absolut still am Tisch, oh, ist wohl ein Tabu-Thema. :)

Dabei ist die Erklärung absolut simpel. Meine Frau und ich haben noch nie so lange zusammengehockt. Wir haben ja beide Vollzeit gearbeitet und hatten auch noch Hobbys, jetzt sind wir beide ständig zusammen und völlig übermüdet, so dass auch Hobbys und Sport kaum eine Chance haben. Na klar nerven wir uns an. Deswegen verbringen wir soviel Zeit wie möglich getrennt, jeder nimmt mal Piet, damit sich der Andere in dieser Zeit etwas entspannen kann.

Das versteht nie jemand, denn Piet ist außer Haus immer absolut lieb, aber wehe, wir kommen nach Hause, dann geht das Gebrüll und Genörgel los. Einen Preis muss man wohl bezahlen.

23.05.2011 Lord of the Flies

Den Titel habe ich, äh, sagen wir mal entliehen. Ich fand "Herr der Fliegen" aber einfach extrem passend für diesen Blog-Beitrag. Alles begann letzte Nacht um halb zwölf, ich hatte die erste Schicht.

Ich betrat nichtsahnend das Zimmer von Piet, dann erwischte mich der Brechreitz eiskalt. Ich fühlte mich wie damals bei meiner ersten Asia-Reise nach Hongkong. Es passierte auf meinem ersten Ausflug in die Stadt, als ich mich spontan übergeben musste. Die Menschen, die in einer langen Schlange an der Fressbude anstanden, sahen mich stinksauer an.

Diese Bude verkaufte frisch frtittierten "Stinky Tofu", für mich ein Gestank, den man nicht jugendfrei beschreiben kann. Am gleichen Abend noch musste ich den besagten frittierten und vergorenen Tofu beim Geschäftsessen aus Höflichkeit runterschlingen, seitdem übergebe ich mich erheblich weniger bei schlechten Gerüchen.

Gestern Nacht musste ich an diesen Tag denken, in Piets Zimmer roch es ganz ähnlich wie vor dieser Bude. Ich kämpfte mich gegen den Gestank bis zu seinem Bett vor. Oje, er hatte Durchfall bekommen, den konnte nicht mal die Windel noch halten, lecker.

Durchfall ist bei Babys natürlich ein echtes Problem. Meine Frau musste um 2:30 Uhr das Gleiche durchmachen wie ich zuvor, auch eine Art von Gleichberechtigung. Den folgenden Tag hatten wir schon verplant, das sagten wir alles ab. Nach einem Telefonat mit dem Arzt war eigentlich klar, dass wir nicht viel machen können, außer Windeln wechseln und soviel trinken lassen wie möglich.

Meine Frau fününüte um mich herum, bis ich mich bereit erklärte, zum Onkel Doc hinzufahren, obwohl ich das für aussichtslos hielt. Was macht man nicht alles, um den Hausfrieden zu wahren.

Ab halb vier saßen wir dann, völlig relaxt und tiefenentspannt, in einem knüppelvollem Wartezimmer, mit lauter schreienden Kindern und genossen das Ambiente einer Arztpraxis. Um halb sechs waren wir dann im Sprechzimmer und nach zwei Minuten wieder draußen mit dem Ratschlag: "Viel trinken lassen, auch Milch."

Aber es hatte den Zweck erfüllt, meine Frau war beruhigt. Außerdem hatten wir ja ein Rezept für Elektrolyte bekommen, welche wir der Milch beifügen sollten. Alles klar, kein Problem. Ich fütterte Piet und er trank ordentlich, na geht doch. Eine Minute später musste ich duschen gehen, mein Sohn hatte mich bis auf die Unterhose mit Kotze durchnässt. Das kann ja noch was werden diese Nacht. Auf das neu Anziehen habe ich dann größtenteils verzichtet, wir kommen ohnehin mit dem Waschen kaum mehr hinterher.

Die Elektrolyte, speziell für Säuglinge und kleine Kinder, hatten auch einen umfangreichen Beipackzettel. Natürlich liest man den durch, bevor man seinem Kind so etwas verabreicht. Darin stand unter anderem: "Für das Bedienen von Maschinen sind keine besonderen Vorsichtsmaßnahmen erforderlich." Da bin ich aber beruhigt, dass der Piet weiter Bagger fahren kann, wo er doch auch schon seine Steuernummer hat. :)

Es war noch etwas anderes seltsam heute. Bereits zur Mittagszeit war mir aufgefallen, dass wir einige Fliegen in der Wohnung hatten. Einige? Moment mal, ich mache eben mal eine kleine Bestandsaufnahme:

30 Fliegen, plus minus zwei, wo bitte kommen die denn alle her?

Es musste an Piets "Duft" liegen, der überall in der Wohnung zu finden war.

Obwohl es eigenlich recht sauber bei uns ist, denn wir hatten gestern erst groß gemeinsam gepuzt, legten wir direkt mal nach. Küche und Wohnzimmer waren bereinigt, die Wäsche in der Maschine. Dann kann das Fliegenmassaker ja starten.

Ich erledigte 8 Fliegen mit dem Handtuch, Kimba brachte es auf vier, natürliche Tote gab es fünf, meine Frau holte die meisten Kills. Allerdings hatte sie auch die beste Waffe. Mit dem Handstaubsauger fing sie die Fliegen regelrecht aus der Luft, mindestens neun wurden so erledigt. Wir steigerten uns in einen Rausch, bis alle sichtbaren Feinde eleminiert waren.

Da es Piet immer noch nicht besser geht, werden es wohl nicht die letzten Opfer dieses Krieges gewesen sein. Passend dazu sehen wir uns heute Abend den Film "Infestation" an, der lag der neuen SFT bei, in dem Film geht es um die Invasion von Käfern, passt doch super.

24.05.2011 The day after

Der Tag danach, immer wenn man denkt, anstrengender kann es nicht werden, setzt Piet noch einen drauf. Zumindest geht es ihm heute deutlich besser. Der Film gestern Abend war übrigens so ein richtiger B-Movie. Man kann an sich nicht sagen, dass er schlecht war, denn B-Movies haben ihre eigenen Kriterien. Zumindest habe ich ihn ausgesehen, das haben nicht alle Filme bisher geschafft.

Heute Morgen bin ich, nach zwei Litern Kaffee, mit dem Fahrrad zum Drogeriemarkt gefahren, denn wir brauchten dringend neue Windeln. Piet hatte gestern eine komplette Packung (27 Stück) geleert. Das war ein richtig teurer Einkauf, daran werde ich mich wohl gewöhnen müssen. Morgens, in der Woche, im Drogeriemarkt einkaufen, ist schon ein komisches Gefühl. Keine Männer weit und breit, nur Schwangere oder Mütter mit Kindern, die einen verstohlen beobachten, wenn man "Windeln Größe 1, Newborn, 2-5 Kg Max Dry mit Super Absorbing Technology, sowie Overlapping Fastening" in seinen Einkaufswagen legt.

Hatte ich eigentlich ein Schild am Eingang übersehen? So etwas wie: "Männer müssen draußen bleiben", oder "Männer nur in Begleitung einer weiblichen Autoritätsperson." War mir nicht aufgefallen, hätte mich aber jetzt auch nicht gewundert.

Wieder zu Hause, stellte ich erschreckt fest, dass es schon 14:30 Uhr waren. Da hatte unser kleiner Zeitfresser, damit meine ich unseren Sohn, mal wieder kräftig zugeschlagen. Dabei war ich war mal Manager, dies kommt mir ewig lang her vor, dabei sind es gerade mal etwas über fünf Wochen. Ich hatte gedacht den Tagesablauf besser im Griff zu haben, das war wohl nichts. Um überhaupt noch das Gefühl von Produktivität für diesen Tag zu bekommen, machte ich mich an die Montage der Rollos für Piets Kinderzimmer und an die Erneuerung der Verschlussbolzen der Dachfenster. Keine dreißig Minuten später war es im Kinderzimmer stockdunkel, Piet schlief sofort ein und ich mit ihm.

27.05.2011 Piet am Nörgeln

Seit seinem Durchfall nörgelt Piet jeden Nachmittag ab 17:00Uhr, bis spät abends. Es ist nichts zu machen, da hilft kein Schnuller, keine Flasche, kein "auf dem Arm", kein Flieger, keine Bauchmassage, kein gar nichts.

Die erste Stunde Gebrüll erträgt man noch recht gelassen, aber danach ist die Ruhe endgültig weg, zusammen mit der Übermüdung ergibt das eine gefährliche Kombination. Angeblich haben wir ja noch ein "liebes Kind", andere brüllen wohl den ganzen Tag und die ganze Nacht. Mir sind die paar Stunden dennoch mehr als genug.

Meine Frau döst seit einigen Stunden oben in Piets Zimmer wie ein Stein. Die letzte Nacht war hart. Ich kann auch nicht mehr, und dies, obwohl ich letzte Nacht recht gut und beinahe vier Stunden am Stück geschlafen habe. Obendrein brüllt die Katze ähnlich laut wie Piet, mit ihm zusammen im Chor, auch die ganze Zeit. Vermutlich bedeutet es so viel wie: "Stell das ab, es tut meinen Ohren weh." Meinen im übrigen auch, aber mein Sohn lässt nicht locker.

Irgendwo hatte ich gelesen, dass das eigene Kind es schafft, mit dem Schreien bei den Eltern körperliche Schmerzen zu erzeugen. Zumindest mein Tinitus ist wieder da, na toll. Was der Techno, laut wie ein startender Düsenjet, nicht geschafft hat, 4,0 Kg Mensch bekommen das hin. Die Natur ist schon erstaunlich.

Unsere Hebamme hat uns gestern noch einmal ausdrücklich auf die Gefahren von heftigem Schütteln bei Kleinkindern hingewiesen. Das kannten wir zwar schon und würden es nie machen, aber offensichtlich sind wir plötzlich in der Gefahrengruppe. ;)

Eine Freundin verglich unsere Situation mit der Anschaffung eines neuen Hundes. Zum Glück war ich viel zu müde um darauf zu antworten. Ich habe in meinem Leben viel unternommen, Nächte und sogar Wochenenden durchgefeiert, Langstreckenflüge um die halbe Welt gemacht und meinen Zivieldienst in einer Einrichtung für behinderte Menschen abgeleistet. Aber verglichen mit den letzten paar Wochen ist das alles Kinderkram gewesen.

Nichts ist damit vergleichbar, wenn das eigene Kind stundenlang brüllt und man als Eltern völlig hilflos und mit den Nerven zu Fuß daneben steht.

Hoffentlich wird das bald etwas besser, denn in wenigen Wochen bin ich völlig auf mich alleine gestellt und muss meiner Frau den Rücken freihalten, damit sie wieder fleißig arbeiten gehen kann.

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Kommentare von Lesern:

 
Gerd, Norddeutschland:
30.05.2011 14:21
Ach ja, das kommt einem irgendwie bekannt vor.

Natürlich darf man nie und nimmer sagen, dass man zusammen oder mit dem Kind nicht hundertprozentig glücklich ist. Denn hieraus kann man bzw. frau nur schließen, dass man ein furchtbarer Ehemann und Vater ist. Kenne ich alles zur Genüge.

Hinsichtlich des Gebrülls: Ein Kollege von mir hat sich einen doppelten Gehörschutz besorgt - hat wohl Wunder gewirkt. Möglich sind auch Kopfhörer und die Musik aufdrehen. Immer noch besser als irgendwann das Kind gegen die Wand zu klatschen.....

Tagebuch Guido

Guido
Alter: 34
Wohnort: Neuss
Beruf: Vollzeitvater
Familienstand: verheiratet
Geburtstag Kind: 15.04.2011
Letzter Eintrag: 25.06.2012

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